8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 159
genstände, über welche Staatsverträge nur mit Genehmigung des Bun-
desrates und Reichstages staatsrechtliche Geltung erlangen können.
Insoweit nun ein Gesetzesbefehl erforderlich ist, um einem Staats-
vertrage staatsrechtliche Erfüllbarkeit zu verschaffen — oder wenn
man sich der verunglückten Fassung des Art. 11, Abs. 3 anschließen
will — insoweit die Verträge sich auf solche Gegenstände beziehen,
welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören —
ist zum Erlaß und zur Wirksamkeit dieses Befehles alles dasjenige
erforderlich, was zum Zustandekommen eines gewöhnlichen Gesetzes
gehört und die im $ 55 entwickelten Rechtssätze finden durchweg
analoge Anwendung'). Die Erfordernisse sind demnach: Ueberein-
stimmung zwischen Bundesrat und Reichstag über den Inhalt, Sanktion,
Ausfertigung und Verkündigung, und zwar nach folgenden Regeln:
a) Die Feststellung des Inhaltes.
Da nur der Kaiser die Verhandlungen über Staatsverträge durch
seine Beamten führen lassen kann, so ergibt sich, daß die Vorlage
eines Staatsvertrages im Bundesrat immer nur vom Kaiser, niemals
von einem anderen Bundesgliede erfolgen kann?). Da ferner die Vor-
lagen an den Reichstag nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates
gebracht werden (Reichsverfassung Art. 16), so folgt, daß dem Reichs-
tage ein Staatsvertrag nur vorgelegt werden kann, wenn der Bundesrat
sich mit demselben einverstanden erklärt hat.
So wie hierdurch das sogenannte Recht der Initiative für die
Mitglieder des Bundesrates und Reichsiages in Wegfall kommt, so ist
auch das Recht der Amendierung, wenn auch de jure nicht aus-
geschlossen, so doch de facto beschränkt, da der Inhalt und Wortlaut
des Vertrages nicht unter den Organen des Reiches, sondern zwischen
den Bevollmächtigten des Reiches und des fremden Staates vereinbart
und festgestellt wird). Der Reichstag kann jedoch die Genehmigung
des Vertrages an die Bedingung knüpfen, daß derselbe gewisse
Abänderungen oder Zusätze erhält, und die Zulässigkeit einer solchen
Beschlußfassung kann um so weniger bezweifelt werden, als dem
Reichstage regelmäßig nicht der definitiv geschlossene Vertrag, sondern
der Vertragsentwurf zur Genehmigung vorgelegt wird.
b) Die Sanktion.
Der staatliche Akt, welcher dem Staatsvertrage staalsrechtliche
Kraft und Verbindlichkeit erteilt, erfolgt wie die Sanktion der Reichs-
1) Vgl. das Urteil des Reichsgerichts in Strafsachen vom 22. September 1885
(Entsch. Bd. 12, S. 384).
2) Selbstverständlich steht es aber jedem Mitgliede frei, den Abschluß eines
Staatsvertrages in Anregung zu bringen, und einen Antrag zu stellen, daß der Bun-
desrat beschließen möge, den Kaiser zu ersuchen, die zur Herbeiführung eines Ver-
tragsabschlusses geeigneten Schritte zu veranlassen.
3) Die geschäftliche Behandlung der Vorlage im Reichstage ist aber dieselbe wie
diejenige der Gesetzentwürfe. Vgl. E. Meier, Staatsverträge S. 286.