160 8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
gesetze durch einen Beschluß des Bundesrates (siehe oben S. 29 ff.)').
Dieser Akt kann nur vollzogen werden, nachdem der Reichstag
die Genehmigung erteilt hat und der Wortlaut des Vertrages mit den
Beschlüssen des Reichstages in Einklang gesetzt worden ist. Der vom
Reichstage gefaßte Beschluß, welcher die Genehmigung ausspricht, muß
nach Art. 7, Ziff. 1 der Reichsverfassung dem Bundesrat nochmals
zur Beschlußfassung vorgelegt werden, und dieser zweite Beschluß
des Bundesrates enthält die Sanktion. So wie bei gewöhnlichen Ge-
setzen dieser Beschluß darauf gerichtet ist, dieselben dem Kaiser zur
Ausfertigung zu unterbreiten, geht er bei Staatsverträgen dahin, die-
selben dem Kaiser zur Ratifikation zu überweisen. Art. 11, Abs. 3
macht im Gegensatz zu Art. 5, der bei der gewöhnlichen Gesetzgebung
die Beschlüsse des Bundesrates und Reichstages als ganz gleichartige
nebeneinander stellt, einen bemerkenswerten Unterschied bei den Staats-
verträgen, indem er die Zustimmung des Bundesrates für erforder-
lich zu ihrem Abschluß, die Genehmigung des Reichstages
für erforderlich zu ihrer Gültigkeit erklärt. Obwohl in dieser
Ausdrucksweise der völkerrechtliche Akt mit dem staatsrechtlichen
zusammengeworfen wird, so spricht sich doch durch dieselbe der
richtige Gedanke aus, daß die Erklärungen des Bundesrates und des
Reichstages nicht gleichartig sind. Die Genehmigung des Reichstages
ist die Voraussetzung, ohne welche der Bundesrat den Vertrag nicht
für staatsrechtlich verbindlich erklären kann; die Erklärung
des Bundesrates ist wieder die Voraussetzung, ohne welche der Kaiser
nicht dem fremden Staat das Versprechen geben kann, daß der Ver-
trag ausgeführt werden wird. Die Erklärung des Bundesrates ist dem-
nach die Voraussetzung der Ratifizierung, und es liegt die Verwechs-
lung sehr nahe, den Inhalt des Bundesratsbeschlusses anstatt in der
Vollstreckbarkeitserklärung des Vertrages in der Zustim-
mung zu seinem Abschlusse (d. h. Ratifizierung) zu erblicken. In
Wahrheit ist die Ratifizierung des Gesetzes die Folge der vom Bun-
desrat beschlossenen Vollstreckbarkeitserklärung, so wie die Ausfertigung
des Gesetzes die Folge der vom Bundesrat erteilten Sanktion ist.
Für die Beschlußfassung des Bundesrates gelten ganz dieselben
Regeln, welche für die Sanktion der Gesetze Anwendung finden. Nur
1) Heilborn im Archiv X1J, S. 142 ff. entwickelt die Ansicht, daß das „Ver-
tragsgesetz“ nicht vom Bundesrat, sondern vom Kaiser sanktioniert werde. Aller-
dings hat der Kaiser wegen des synallagmatischen Zusamenhangs zwischen dem staat-
lichen Vertragsgesetz und dem völkerrechtlichen Vertragsabschluß an dem Zustande-
kommen des Vertragsgesetzes indirekt einen größeren und selbständigeren Anteil
wie an anderen Gesetzen. Denn wie im Text hervorgehoben, kann die Vorlage eines
Vertrags nur mit kaiserlicher Genehmigung erfolgen und er kann den Abschluß des
Vertrages und damit auch die Wirksamkeit des Vertragsgesetzes (siehe unten S. 164)
durch Verweigerung der Ratifikation abwenden. Für das Zustandekommen des „Ver-
tragsgesetzes“ bestehen aber nach der Reichsverfassung keine anderen Vorschriften
wie für andere Gesetze. Uebereinstimmend G. Meyer $ 190, Note 10.