8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 165
In jedem Falle hat die bisher übliche Art der Verkündigung ohne
Eingangsworte, also ohne Konstatierung, daß die Zustimmung des
Bundesrates und Reichstages erteilt worden ist, die Wirkung, daß den
Behörden, welche die in dem Staatsvertrage enthaltenen Rechtssätze
zur Anwendung zu bringen haben, insbesondere den Gerichtsbehörden,
das Recht und die Pflicht obliegt, im einzelnen Falle zu prüfen, ob
in Wahrheit diesen Erfordernissen gesetzlicher Gültigkeit Genüge ge-
schehen ist oder nicht!). Wie soll aber der Amtsrichter oder Verwal-
tungsbeamte, dem keine Bibliothek wie dem Reichsgericht zur Hand ist,
dies ermitteln, wenn er es aus dem Reichsgesetzblatt nicht ersehen kann’?
4. Ausführungsbestimmungen.
Wenn zur Vollziehung von Staatsverträgen Ausführungsbestim-
mungen erforderlich sind, so finden die Grundsätze über Verord-
nungen analoge Anwendung. Demgemäß können Rechtsvor-
schriften im Verordnungswege nur auf Grund gesetzlicher Ermäch-
tigung, die in der Genehmigung des Staatsvertrages durch Bundesrat
und Reichstag enthalten sein kann, erlassen werden ?;, Verwal-
tungsvorschriften dagegen sind vom Bundesrat’) oder, wenn
sie die unmittelbare Reichsverwaltung betreffen, nach Maßgabe der
Spezialgesetze von den Verwaltungschefs zu erlassen ). Hervorzuheben
daß auch ein solcher Abdruck mit Billigung der obersten Reichsbehörde erfolgt sei.
Siehe S. 110, Note 2. Namentlich könnten aber nach dieser Erwägung auch bei der
Verkündigung von anderen Reichsgesetzen die Unterschrift des Kaisers und die
Gegenzeichnung des Reichskanzlers fortbleiben, ohne daß vermutlich das Reichsge-
richt daran Anstoß nehmen würde Dambitsch S. 302 fg. hat das Urteil des
Reichsgerichts und seine Begründung gebilligt, was bei der ausgeprägt bureaukra-
tischen Tendenz dieses Kommentars nicht zu verwundern ist. Der staatsrechtliche
Begriff der Verkündigung wird zu dem einer tatsächlichen Bekanntmachung verflacht
und entstellt und die regellose Art derselben damit gerechtfertigt, daß der zweite
Satz des Art.2 der RV. sich nur auf formelle Reichsgesetze beziehe. Ueber
die Unrichtigkeit dieser Ansicht vgl. oben S. 108fg. Eine Folge dieser Auslegung wäre
aber, daß auch die Anordnung des Art. 2, daß Reichsgesetze ihre verbindliche Kraft
durch ihre Verkündigung von Reichswegen erhalten, auf die Staats-
verträge des Reichs keine Anwendung finden würde und es daher überhaupt an jeder
rechtlichen Grundlage für die innerstaatliche Geltung und verbindliche Kraft der
Staatsverträge fehlen würde. Man kann doch nicht das Wort „Reichsgesetze“ in dem
Hauptsatz so auslegen, daß es Rechtsverordnungen und Staatsverträge einschließt
und den unmittelbar folgenden Relativsatz so, daß er diese Arten von Rechtsvorschriften
ausschließt. Der Satz der RV. würde ohne die lediglich stylistische Form des
Relativsatzes lauten: Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre
Verkündigung von Reichswegen vermittelst eines Reichsgesetzblattes.
1) Vgl. die Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivils. Bd. 26, S. 123
und Bd. 40, S. 112 (Hubrich S. 36, Note 2).
2) Vgl. z. B. die Verordnung vom 4. Juli 1883 (Reichsgesetzbl. S. 153) zur Aus-
führung der Reblaus-Konvention.
3) Solche Ausführungsbestimmungen des Bundesrats sind in großer Zahl im
Zentralblatt veröffentlicht.
4) Dahin gehören insbesondere die Telegrafenordnungen, Instruktionen der Post-
behörden u. s. w.