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läßliches Erfordernis muß es aber erachtet werden, daß sowohl die
Verlängerung über die im Vertrage angegebene Zeit hinaus als auch
das Erlöschen der Geltung des Vertrages durch Kündigung oder Nicht-
verlängerung im Reichsgesetzblatt in ordnungsmäßiger Form publi-
ziert werde !). Abgesehen von diesen Fällen kann aber das Vertrags-
gesetz seine Geltung verlieren, wenn der Staatsvertrag aus völker-
rechtlichen Gründen außer Kraft gesetzt wird, insbesondere wegen
Nichterfüllung desselben von seiten des anderen Kontrahenten oder
als Repressalie oder wegen Einspruchs einer dritten Macht usw. Die
Ergreifung solcher Maßregeln gehört zur völkerrechtlichen Vertre-
tung des Staates, steht also im Deutschen Reich dem Kaiser zu
(Reichsverfassung Art. 11). Derselbe ist daher befugt, ohne Mitwirkung
von Bundesrat und Reichstag die Gesetzeskraft eines Staatsvertrages auf-
zuheben, indem er derselben die völkerrechtliche Grundlage entzieht,
auf welcher sie beruht).
Wenn nicht der Staatsvertrag als solcher mit Gesetzeskraft ausge-
stattet, sondern in Veranlassung desselben ein selbständiges, vom Ver-
trage formell unabhängiges Reichsgesetz erlassen worden ist, so gelten
hinsichtlich des Inkrafttretens und der Aufhebung desselben die ge-
wöhnlichen, von Reichsgesetzen überhaupt geltenden Rechtsregeln.
8 63. Die Staatsverträge der Bundesglieder.
Die Reichsverfassung enthält keine Bestimmung darüber, inwie-
weit den einzelnen Gliedstaaten die Befugnis zum Abschluß von Staats-
verträgen verblieben ist; aus den allgemeinen Prinzipien der Ver-
fassung ergibt sich aber, daß den Einzelstaaten der völkerrechtliche
Verkehr mit fremden Staaten, sowie der Abschluß von Staatsverträgen
unter einander nicht entzogen, wohl aber beschränkt worden ist. Dieser
Satz ist so zweifellos und unbestritten und durch eine so konstante
und unangefochtene Praxis bekräftigt, daß er keiner weiteren Begrün-
dung bedarf?). Dagegen muß der Umfang, in welchem den Einzel-
1) Die bisher bestehende Praxis, daß das Erlöschen der verbindlichen Kraft
von Staatsverträgen im Reichsgesetzblatt gar nicht verkündigt wird, muß als eine
große Unordnung bezeichnet werden. Das Außerkrafttreten des Staatsvertrages
bewirkt ebenso gut eine Veränderung des bestehenden Rechtszustandes, wie das In-
krafttreten. Aus dem Reichsgesetzblatt kann niemand ersehen, ob ein Staatsvertrag
noch gilt oder nicht. In neuester Zeit sind solche Bekanntmachungen in ordnungs-
mäßiger Form im Reichsgesetzblatt erfolgt; 1897 S. 5; 611; 785; 1898 S. 4; 1019;
1899 S. 136; 673; 1900 S. 808 u. s. w.
2) Vg. Jellinek, Gesetz und Verordnung S. 362fg.; Seligmann S. 216 ff.;
TeznerS. 155. Dagegen steht es mit der formellen Gesetzeskraft der-
jJenigen Staatsverträge, welche dieselbe erlangt haben, im Widerspruch, einzelne Be-
stimmungen derselben im Verordnungswege aus anderen als solchen völkerrechtlichen
Gründen zu suspendieren. Vgl. Störk im Archiv für öffentl. Recht Bd. 9, S. 23 ff.
Heilborn daselbst Bd. 14 S. 199.
3) Zorn I, S. 501 fg. hat die Behauptung hingestellt, daß die Einzelstaaten
„prinzipiell“ das Vertragsrecht verloren haben. „Denn da in dem Abschluß der Ver-