Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 63. Die Staatsverträge der Bundesglieder. 169 
Einzelstaaten durch internationale Verträge das gesamte Gebiet der 
auswärtigen Politik; sie können ferner keine Verträge schließen über 
Angelegenheiten, welche die Verfassung des Reiches selbst, seine Or- 
ganisation, Behörden, Finanzwirtschaft usw. betreffen; über Verände- 
rungen des Bundesgebietes, über Eingriffe in die Gebietshoheit !), über 
Konsulatswesen, Schutzgebiete, Zollwesen, Seeschiffahrt und andere 
handelspolitische Angelegenheiten, über Gegenstände, welche den Ober- 
befehl und die Verwendung der bewaffneten Macht, wenngleich nur 
mittelbar und für irgend welche Eventualität, berühren könnten, sowie 
überhaupt über alle Materien, welche verfassungsmäßig der aus- 
schließlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des 
Reiches zugewiesen sind. 
3. Soweit das Reich eine fakultative Gesetzgebungskompetenz hat, 
was für die Mehrzahl der im Art. 4 der Reichsverfassung aufgezählten 
Gegenstände gilt, besteht die Kompetenz der Einzelstaaten zum Ab- 
schluß von Staatsverträgen fort, so lauge das Reich von seiner Kom- 
petenz noch keinen Gebrauch gemacht hat, sowie, wenn das Reich 
diese Materie nicht in abschließender und vollständiger Weise geregelt 
hat, in demselben Umfange, in welchem die Autonomie der Einzel- 
staaten zur Ergänzung der Reichgesetzgebung fortdauert ’?). 
Aber auch soweit das Reich von seiner Gesetzgebungsbefugnis noch 
keinen Gebrauch gemacht hat, kann der Einzelstaat durch Staatsver- 
träge dem Rechte des Reiches nicht präjudizieren. Die auf Grund von 
Staatsverträgen von den Einzelstaaten erlassenen Vorschriften verlieren 
ipso iure ihre Geltung, sobald das Reich durch Gesetz eine andere Vor- 
schrift sanktioniert). Denn das Motiv, aus welchem der Einzelstaat 
eine Vorschrift erlassen hat, namentlich ob dies auf Grund eines inter- 
nationalen Rechtsgeschäftes oder aus eigenem Antriebe geschehen ist, 
Schulze, Deutsches Staatsrecht II, S. 333; Hänel, Staatsrecht I, S. 557; Triepel, 
Völkerr. u. Landesr. S. 244 ff. 
1) Vgl. Bd. 1, S. 208 und Pröbst S. 248 fg. 
2) Pröbst S. 254 ff.; Donati p. 238 sq. 
3) Pröbst S. 252fg. Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen 
vom 3. Juni 1881 (Bd. 4, S. 274) und vom 22. September 1885 (Strafs. Bd. 12, S. 381). 
Derselbe Grundsatz greift Platz, wenn das Reich über einen Gegenstand einen Staats- 
vertrag abschließt, hinsichtlich der über denselben Gegenstand mit demselben auswärti- 
gen Staate geschlossenen Verträge der Einzelstaaten. Ausdrücklich ist dies anerkannt 
indem Vertrage mit Oesterreich-Ungarn vom 25. Februar 1880, Art. 6 
(Reichsgesetzbl. 1881, S. 7). Ob die Verträge der Einzelstaaten vor oder nach ihrem 
Eintritt in den Bundesstaat abgeschlossen worden sind, macht in dieser Beziehung 
keinen Unterschied; der Grundsatz des Art. 2 der Reichsverfassung deckt beide Fälle. 
Uebereinstimmend Schulze, D. Staatsrecht II, Ss362; Tinsch S.55; v. Stengel, 
Preuß. Staatsrecht, S. 570; Meyer$80 Note 14; Huber, Staatensukzession (Leipzig 
1898), S. 166, 167; Dambitsch S.291. Anderer Ansicht Bornhak, Preuß. Staats- 
recht II, S. 5 und, wenn ich ihn richtig verstehe, Triepel S. 245 fg. Ferner 
Münchin Hirths Annalen 1907 S. 161 ff., 266 ff. daselbst Seite 177 fg. eine Zusammen- 
stellung der reichhaltigen Literatur.
	        
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