$ 68. Die Staatsverträge der Bundesglieder. 171
4. Hinsichtlich derjenigen Angelegenheiten, welche das Reich ein-
heitlich geregelt und dadurch der Gesetzgebung der Einzelstaaten ent-
zogen hat, hinsichtlich deren aber den Einzelstaaten Verwaltungsbe-
fugnisse in größerem oder geringerem Unifange verblieben sind, können
die Einzelstaaten Verträge unter einander oder mit dem Reiche ein-
gehen. Hierhin gehören die zahlreichen Militärkonventionen, auf welche
Art. 66 der Reichsverfassung Bezug nimmt, ferner Verträge über die
Post- und Telegraphenverwaltung (Reichsverfassung Art. 50, Abs. 6),
sodann Verträge über die Verwaltung der Zölle und Verbrauchsab-
gaben (Reichsverfassung Art. 36, Abs. 1, 40), endlich Verträge über die
Ausübung der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit (gemeinsame Ge-
richte).
9. Die Angelegenheiten, hinsichtlich deren nach der Reichsver-
fassung eine Kompetenz des Reiches zur Gesetzgebung nicht anerkannt
ist, unterliegen auch der ausschließlichen Vertragskompetenz der Einzel-
staaten !), Dahin gehören z. B. Wegesachen, Gemeindeangelegenheiten,
Kirchen- und Schulsachen, direkte Steuern, Forst- und Bergwerks-
verwaltung, Gefängniswesen usw. Aber diese Befugnis ist keine sou-
veräne, sondern eine beschränkte. Die Einzelstaaten können keine
Staatsverträge abschließen, durch deren Erfüllung sie sich mit den
Anordnungen der Reichsgesetze oder der gültig erlassenen Verord-
nungen des Reiches in Widerspruch setzen würden. Es läßt sich kein
Staatsvertrag über irgend welchen Gegenstand denken, den ein deut-
scher Einzelstaat abschließen könnte, ohne an den Reichsgesetzen über
Strafrecht, Prozeß, Privatrecht, Militär-, Zoll-, Post-, Münz-, Gewerbe-
wesen usw. enggezogene Schranken zu finden.
II. Die Einzelstaaten sind außerstande, die Erfüllung der von ihnen
mit anderen Staaten abgeschlossenen Verträge durch die völkerrecht-
lichen Mittel zu erzwingen; weder gegenüber anderen Gliedstaaten des
Reiches, da hier gewaltsame Selbstliilfe unter denselben durch den Be-
griff des Reiches ausgeschlossen ist, noch gegenüber auswärtigen Staaten,
da kein einzelner Staat des Reiches Krieg führen kann. Alle durch
Staatsverträge erworbenen Rechte oder Ansprüche der Einzelstaaten
finden daher ihren Schutz lediglich durch das Reich, und zwar bei
Streitigkeiten unter verschiedenen Bundesstaaten nach Art. 76, Abs. 1
der Reichsverfassung, bei Streitigkeiten mit auswärtigen Staaten nach
den Grundsätzen des Völkerrechts, im äußersten Falle durch Erklä-
rung des Krieges im Namen des Reiches, wozu der Kaiser unter
Zustimmung des Bundesrates nach Art. 11, Abs. 2 der Reichsverfas-
sung befugt ist.
Ebenso kann kein auswärtiger Staat gegen einen deutschen Einzel-
Reichs. Was Seligmann S. 90 hiergegen einwendet, ist m. E. nicht von Belang.
Vgl. jetzt auch Heilborn, System, S. 157 fg.
1) Ueber die entgegenstehende Behauptung v. Mohls S. 305 fg. siehe Pröbst
S. 257 fg.