8 64. Der Begriff der Verwaltung. 173
bestimmung beruhende, und zwar sind sie auch der Rechts-
ordnung selbst gegenüber freie. Wenngleich die gesetz-
gebenden Faktoren bei allen ihren Handlungen an die Beobachtung
des bestehenden Rechtes gebunden sind, so sind sie doch verfassungs-
mäßig befugt, dieses Recht selbst unter Beobachtung der dafür vorge-
schriebenen Formen abzuändern. Der Wille des gesetzgebenden Or-
gans ist daher dem Recht gegenüber der stärkere; das bisher geltende
Recht muß ihm gegenüber weichen. Diese volle Freiheit ist erforder-
lich für die Gesetzgebung im materiellen Wortsinn, da ja die Gesetze
regelmäßig dazu dienen, neues Recht zu schaffen, also das bisher
geltende Recht abändern, fortbilden, aufheben. Da aber diese Frei-
heit die Gefahr des Mißbrauchs in sich birgt, so wird das Volk selbst
durch von ihm gewählte Vertreter zur Mitwirkung an diesen Akten
berufen. Die Freiheit und Unverantwortlichkeit des Gesetzgebers
kann nicht wirksam beschränkt werden; deshalb entzieht das Ver-
fassungsrecht dem Staatsoberhaupt die Ausübung dieser Befugnis nach
eigenem Ermessen und stellt ihm ein Organ zur Seite, dessen Willens-
bestimmung ihm gegenüber frei und selbständig ist und ohne dessen
Zustimmung er Gesetzgebungsakte nicht vornehmen kann. Hierdurch
entsteht — wenigstens dem Anscheine nach — eine von der Gewalt
des Staatsoberhauptes verschiedene, der letzteren selbstständig gegen-
über tretende Gewalt im Staate, ein pouvoir lögislatif. Die Gesetz-
gebung läßt alsdann nicht bloß die Auffassung als eines objektiven
Vorganges, einer gewissen Art von staatlicher Willensbetätigung zu,
sondern sie gestattet die Vorstellung eines mit rechtlichen Machtbe-
fugnissen versehenen Subjekts im Unterschied vom Monarchen.
Nun brauchen sich aber die Befugnisse des Gesetzgebungsorganes nicht
vollständig zu decken mit der Regelung der Rechtsordnung; das posi-
tive Recht kann vielmehr einerseits die Zuständigkeit des Organes aus-
dehnen auf staatliche Willensakte, die einen anderen Inhalt als die
Rechtsordnung haben, und andererseits unter gewissen Voraussetz-
ungen oder Einschränkungen den Erlaß von Rechtsvorschriften einem
anderen Organ zuweisen. Es ergeben sich hieraus die formellen Ge-
setze ohne Rechtsinhalt und die Rechtsverordnungen ohne Gesetzes-
form. Die Unverantwortlichkeit und Ungebundenheit, mit welcher
das legislative Organ dem Recht gegenüber steht, erstreckt sich auf
seine ganze Zuständigkeitssphäre, und es ergibt sich hieraus ein ge-
meinsames, staatsrechtlich erhebliches Merkmal für einen Inbegriff von
staatlichen Akten, die inhaltlich von verschiedener rechtlicher Natur
sind und die andererseits durch dieses Merkmal ausgeschieden wer-
den von anderen staatlichen Akten, mit welchen sie inhaltlich gleich-
artig sind.
Eine ganz ähnliche Gedankenreihe führt zur Aufstellung des pou-
voir judiciaire. Die Rechtspflege erfordert Behörden, welche dem Ge-
setz gegenüber unfrei, ja im eminenten Sinne ihm unterworfen sind,