Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

216 8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 
1. Die konsequente Durchführung des Reichslandsbegriffs hätte 
erfordert, daß die Finanzwirtschaft des Reichslandes mit der 
des Reiches verschmolzen und die Einnahmen des Reichslandes als 
Reichseinnahmen, die Kosten seiner Verwaltung als Ausgaben des 
Reiches behandelt würden. Dies geschah aber nur formell, indem der 
Etat für Elsaß-Lothringen im Wege der Reichsgesetzgebung festgesetzt 
wurde; materiell dagegen wurde das Reichsland in finanzieller Hin- 
sicht vollkommen den Bundesstaaten gleichgestellt'). Es wird daher 
von der Zeit der Vereinigung bis zur Gegenwart die Landeskasse 
von dem Reichsfiskus unterschieden und ebenso das Landesvermögen 
von dem im Reichslande befindlichen Reichsvermögen ?). Das Reichs- 
gesetz vom 25. Mai 1873 über die Rechtsverhältnisse der zum dienst- 
lichen Gebrauch einer Reichsverwaltung bestimmten Gegenstände 
wurde durch Gesetz vom 8. Dezember 1873 im Reichslande eingeführt 
und dadurch nicht nur hinsichtlich des Finanzvermögens, sondern 
auch hinsichtlich des Verwaltungsvermögens das Reichsland in völlig 
dieselbe Lage gebracht, in welcher die Bundesstaaten in dieser Bezie- 
hung sich befinden. Ebenso gibt es auch Landesschulden, welche 
einerseits von den Schulden der Bezirke und Städte, andererseits von 
den Schulden des Reichs verschieden sind. Das Subjekt dieser Schul- 
den und zwar nicht nur der Finanzschulden (Anleihen, Renten, Schatz- 
anweisungen), sondern auch der Verwaltungskosten ist die Landeskasse 
(der Landesfiskus) von Elsaß-Lothringen, das Reichsland als ver- 
mögensrechtliches Rechtssubjekt. Das Reichsland hat ebenso 
wie die Bundesstaaten den seiner Bevölkerung entsprechenden Anteil 
an den Reichskassenscheinen erhalten ?); es erhebt die Brausteuer für 
die Landeskasse und zahlt an die Reichskasse dafür das Aversum; es 
entrichtet nach demselben Maßstabe wie die Bundesstaaten die Matri- 
kularbeiträge und empfing gemäß der Lex Frankenstein die nach der 
Bevölkerungszahl berechnete Quote an den zur Verteilung gelangenden 
Einnahmen aus den Zöllen und Reichsabgaben. Die Landeskasse steht 
überhaupt in allen Beziehungen zum Reichsfiskus in ganz demselben 
Verhältnis wie der Landesfiskus eines Bundesstaates zum Reichsfiskus. 
Für die staatsrechtliche Natur des Reichslandes ist die finanzielle Son- 
derwirtschaft und die selbständige Vermögensfähigkeit nicht von maß- 
gebender Bedeutung, da ja auch Provinzen, Kreise und Gemeinden 
eine selbständige Finanzwirtschaft, eigenes Vermögen und Schulden, 
eigene Einnahmen und Ausgaben haben. Die privatrechtliche Persön- 
1) Der Grund bestand darin, daß man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, 
daß das Reich die finanziellen Hilfskräfte Els.-Lothr.s zu seinem Vorteil ausbeute und 
die Bevölkerung von Els.-Lothr. glauben könnte, daß sie größere Lasten als die An- 
gehörigen der Bundesstaaten zu tragen habe. 
2) Daher sind vermögensrechtliche Geschäfte zwischen dem Reich und dem 
Reichsland möglich; ein Beispiel ist der Verkauf von els.-lothr. Waldflächen an den 
Reichsfiskus für 5'/a Mill. Mark. Ges. v. 7. Januar 1901 (Gesetzbl. f. Els.-Lothr. S. 1). 
3) Ges. v. 25. Dez. 1874, $ 4 (Gesetzbl. S. 58).
	        
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