Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

224 8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 
nur im Reichslande erstreckt. Man bezeichnete zwar die Reichsge- 
setze für die letzterwähnten Angelegenheiten als innere Gesetzgebung 
des Reichslandes !') oder als Landesgesetze; diese Unterscheidung war 
aber ohne alle staatsrechtliche Bedeutung. Es ist unmöglich, den 
Charakter Elsaß-Lothringens als Reichsland zu einem deutlicheren 
Ausdruck zu bringen als es durch diese Identität der Reichs- und 
Landesgesetzgebung, diesem Verschwinden der letzteren in der sie mit 
umfassenden Reichsgesetzgebung geschehen ist. 
Dieser Zustand dauerte aber nur kurze Zeit; es wurde bald ein 
folgenreicher Schritt getan, der eine neue Verfassungsperiode einleitete, 
in welcher der Reichslandscharakter gerade hinsichtlich der Gesetzge- 
bung erheblich modifiziert wurde. 
Schon durch einen kaiserlichen Erlaß vom 29. Oktober 1874 (Ge- 
setzblatt S. 37)?) wurde dem ÖOberpräsidenten auf seinen Antrag die 
Ermächtigung erteilt, einen aus Mitgliedern der Bezirkstage gebildeten 
Landesausschuß um sich zu versammeln, welchem Entwürfe 
von Gesetzen für Elsaß-Lothringen über solche Angelegenheiten, welche 
der Reichsgesetzgebung durch die Reichsverfassung nicht vorbehalten 
sind, einschließlich des Landeshaushaltsetats, zur gutachtlichen 
Beratung vorgelegt werden konnten, ehe sie den zuständigen Fak- 
toren der Gesetzgebung zur Beschlußfassung zugingen. Dieser Erlaß 
hat keinen Rechtssatz geschaffen; auch ohne den Erlaß wäre die 
Regierung nicht gehindert gewesen, über Gesetzentwürfe gutachtliche 
Aeußerungen einzuholen, und andererseits war die Begutachtung nicht 
zum rechtlichen Erfordernis eines Landesgesetzes erhoben worden. 
Der Erlaß war auch nicht in der für Schaffung eines Rechtssatzes er- 
forderlichen Gesetzesform ergangen und konnte den Grundsatz, daß 
alle Landesgesetze für Elsaß-Lothringen im Wege der Reichsgesetzge- 
bung ergehen, nicht ändern). Allein durch das Reichsgesetz 
vom 2. Mai 1877 (Reichsgesetzblatt S. 491) wurde die staatsrechtliche 
Stellung des Landesausschusses umgestaltet, er wurde aus einer begut- 
achtenden Notablenversammlung zu einer Volksvertretung gemacht. 
Das Gesetz bestimmt im 8 1: 
Landesgesetze für Elsaß-Lothringen, einschließlich des jährli- 
1) Reichsges. v. 25. Juni 1873, $ 4, Abs. 1. 
2) Auch abgedruckt im RGBl. v. 1877, S. 492. 
3) Der Erlaß ist an den Reichskanzler gerichtet und enthält daher eigent- 
lich eine Ermächtigung für diesen; er bestimmt aber, daß die Vorlagen dem Landes- 
ausschusse durch den Oberpräsidenten zugehen, welcher berechtigt ist, den Plenar- 
sitzungen und den Kommissionsberatungen beizuwohnen und sich in denselben durch 
Kommissarien vertreten zu lassen. Derselbe Erlaß enthält die Anordnung über die 
Zusammensetzung, Einberufung und den Geschäftsgang des Landesausschusses; der 
Erlaß vom 13. Februar 1877 (Reichsgesetzbl. S. 493) änderte ihn ab, indem die Wahl 
von zwei Vizepräsidenten gestattet wurde. Die zur Ausführung des Erlasses erforder- 
lichen Anordnungen hat der Reichskanzler durch Verordnung vom 23. März 1875 (Ge- 
setzbl. S. 63) getroffen.
	        
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