Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 225 
chen Landeshaushalts-Etats, werden mit Zustimmung des Bun- 
desrats vom Kaiser erlassen, wenn der durch den kaiserlichen 
Erlaß vom 29. Oktober 1874 eingesetzte Landesausschuß densel- 
ben zugestimmt hat. 
Hierdurch wurde für die Landesgesetzgebung eine Form vorge- 
schrieben und durch die Stellung dieser Anordnung an der Spitze des 
Gesetzes als die regelmäßige anerkannt, welche sich von der ver- 
fassungsmäßigen Reichsgesetzgebung in zwei wichtigen Punkten unter- 
scheidet. Die Sanktion der Landesgesetze erfolgte nicht durch den 
Bundesrat, sondern durch den Kaiser; er ist zwar an die Zustimmung 
des Bundesrats gebunden, aber er ist nicht verpflichtet, ein vom Bun- 
desrat beschlossenes Gesetz auszufertigen und zu verkündigen. Wäh- 
rend nach der Reichsverfassung das eigentliche, die Sanktion erteilende, 
Gesetzgebungsorgan der Bundesrat ist, trat für die reichsländische 
Landesgesetzgebung ein anderes Organ des Reichs an seine 
Stelle. Vom Standpunkt der Praxis aus erschien es vielleicht gleich- 
gültig, ob der Bundesrat die Gesetze sanktioniert und der Kaiser sie 
verkündigt, oder ob der Kaiser sie mit Zustimmung des Bundesrats 
erläßt; aber für die staatsrechtliche Stellung des Reichslandes war es 
von größter Bedeutung, daß die Identität von Reichs- und Landesge- 
setzgebung aufhörte. 
Wichtiger noch war der zweite Unterschied, welcher auch den- 
jenigen in die Augen fallen mußte, die für theoretische Erwägungen 
wenig zugänglich sind. : Die Zustimmung des Reichstags wurde ersetzt 
durch die des Landesausschusses; die Volksvertretung des Reichs wurde 
ausgeschaltet; eine Volksvertretung des Reichslandes trat an ihre Stelle. 
Es wurde für die Landesgesetzgebung ein Weg geschaffen, welcher sich 
vom Wege der Reichsgesetzgebung weit entfernte und dem Wege der 
Gesetzgebung in den Bundesstaaten, wenigstens äußerlich, sehr ähn- 
lich war. 
Aber neben diesem Wege wurde der der Reichsgesetzgebung offen 
gehalten. Das Gesetz fügt im $ 2 hinzu: 
Die Erlassung von Landesgesetzen (8 1) im Wege der Reichs- 
gesetzgebung bleibt vorbehalten. 
Die auf Grund dieses Vorbehaltes erlassenen Landesgesetze 
können nur im Wege der Reichsgesetzgebung aufgehoben oder 
geändert werden. 
In dieser Bestimmung zeigt sich die Reichslandseigenschaft wieder 
mit größter Klarheit; eine Anordnung, wie sie der $2 für das Reichs- 
land getroffen hat, könnte das Reich für keinen Bundesstaat erlassen. 
In Uebereinstimmung mit diesen Grundsätzen bestimmt $ 3 des 
Gesetzes, daß die Rechnungen über den Landeshaushalt dem Bundes- 
rat und dem Landesausschuß zur Entlastung vorgelegt werden, 
daß aber dieselbe durch den Reichstag erfolgen kann, wenn der 
Landesausschuß sie versagt. Obgleich es hiernach zwei verschiedene
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.