Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 227 
zu Unzuträglichkeiten führen. Der Oberpräsident hatte die Funktionen 
eines obersten Verwaltungschefs oder Ministers zu versehen, hatte aber 
nicht die rechtliche Stellung eines solchen; der Reichskanzler hatte 
sich von der Führung der Verwaltungsgeschäfte entlastet, aber die 
oberste Leitung sich vorbehalten. Es bestanden gleichsam zwei Mini- 
sterien übereinander, das Oberpräsidium in Straßburg und das Reichs- 
kanzleramt in Berlin; Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden 
konnten nicht ausbleiben und der Geschäftsgang war durch den 
Schriftenwechsel zwischen beiden erschwert. 
Das Verhältnis des Oberpräsidenten zum Reichskanzler wurde 
ferner dadurch kompliziert, daß die einzelnen Abteilungen des Reichs- 
kanzleramtes zu selbständigen obersten Reichsbehörden umgebildet 
wurden und seit dem 1. Januar 1877 die III. Abteilung zum Reichs- 
kanzleramt für Elsaß-Lothringen und die IV. zum Reichs- 
justizamt konstituiert wurden. Auf Grund des Stellvertretungsgesetzes 
wurden die Chefs dieser Reichsämter zu verantwortlichen Stellvertre- 
tern des Reichskanzlers bestellt. Nunmehr stand nicht nur zwischen 
dem Reichskanzler und den Bezirkspräsidenten der Oberpräsident, 
sondern wieder zwischen dem Oberpräsidenten und dem Reichskanzler 
der mit selbständiger Vertretungsbefugnis ausgestattete Chef des Reichs- 
kanzleramtes für Elsaß-Lothringen. Aus den nach der Gesetzgebung 
des Landes und Reiches konstituierten drei Instanzen waren fünf ge- 
worden. Ueberdies waren die Ressorts der Verwaltung und der Justiz 
auseinandergerissen und an zwei von einander ganz unabhängige Zen- 
tralbehörden gewiesen. Die hieraus sich ergebenden Schwierigkeiten 
drängten zu einer Reform. 
Die Richtung, in welcher dieselbe erfolgen mußte, war durch die 
Schöpfung des Landesausschusses vorgezeichnet. Diese Institution 
konnte und wollte man nicht wiederaufheben, und da es untunlich 
war, daß der Landesausschuß in Straßburg tagte, dagegen die oberste 
Regierungsbehörde in Berlin ihren Sitz hatte, so blieb keine andere 
Wahl, als die Verlegung der obersten Regierungsbehörde des Reichs- 
landes nach Straßburg. Man kam hierdurch zugleich den von Ange- 
hörigen des Reichslandes lebhaft geäußerten Wünschen entgegen. 
Das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 (Reichsgesetzbl. S. 165), $ 3 
bestimmte, daß sowohl das Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen als 
auch das Oberpräsidium aufgelöst werden, und daß unter dem Namen 
»Ministerium für Elsaß-Lothringen« eine Behörde in 
Straßburg errichtet wird, welche sowohl die vom Reichskanzleramt 
für Elsaß-Lothringen und dem Reichsjustizamte als auch die von dem 
Oberpräsidenten bisher geübten Obliegenheiten wahrzunehmen hat. 
An der Spitze dieser Behörde steht ein Staatssekretär ($ 3). Wurde 
aber die Zentralverwaltungsbehörde in das Reichsland selbst verlegt, 
so mußte auch die Unterordnung derselben unter den Reichskanzler 
aufgehoben werden, da sonst notwendig dieselben Uebelstände sich
	        
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