8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 229
und staatsrechtliche Bedeutung dieses Unterschieds bedarf keiner Er-
örterung.
2. Auch durch die Errichtung des Ministeriums in Straßburg wurde
die Landesverwaltung der Verwaltung eines Bundesstaates mehr als
bisher genähert. Die Tatsache selbst, daß diese Behörde nicht am Sitz
der Zentralregierung des Reichs, sondern in der Hauptstadt des Lan-
des errichtet wurde, war dafür von einer in die Augen fallenden Be-
deutung, obgleich dadurch der staatsrechtliche Charakter der Behörde
nicht bestimmt wurde; das Ministerium für Elsaß-Lothringen war eine
Reichsbehörde, gleichviel wo sein Sitz war. Aber es wurde oben S. 216 ff.
bereits erwähnt, daß man wegen der eigenen Finanzwirtschaft des
Reichslandes Reichs- und Landesbehörden und Reichs- und Landes-
beamte unterschied. Im Sinne dieser Unterscheidung wurde das
Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen als eine Reichsbehörde ange-
sehen und seine Kosten wurden im Reichs haushaltsetat angesetzt),
dagegen war das Oberpräsidium eine Landesbehörde und seine Kosten
standen im Haushaltsetat des Reichslands. Das Ministerium wurde
nun in diesem Sinne als Landesbehörde behandelt und in den
Etat des Reichslandes übernommen und dadurch in einen Gegensatz
zu den anderen obersten Reichsbehörden gebracht.
Auch der Unterschied zwischen den Reichsbeamten und den
Reichslandsbeamten wurde vertieft, indem die ersteren ihren obersten
Chef im Reichskanzler, die letzteren im Statthalter hatten und die
Befugnisse, welche dem Bundesrat nach dem Beamtengesetz hinsicht-
lich der Reichsbeamten zustehen, dem Ministerium hinsichtlich der
Landesbeamten übertragen wurden (Gesetz $ 8).
3. Dem Landesausschuß sind die im Gesetz von 1877 ihm
beigelegten Rechte nicht nur verblieben, sondern durch die Verleihung
des Rechts, innerhalb des Bereiches der Landesgesetzgebung Gesetze
vorzuschlagen (sogen. Initiative) und an ihn gerichtete Petitionen dem
Ministerium zu überweisen, erweitert worden. Der Landesausschuß
übte alle Rechte in vollem Umfange und mit voller Wirksamkeit aus,
welche im konstitutionellen Staate der Volksvertretung zuzustehen
pflegen; er befand sich in dieser Hinsicht im vollen Gegensatz zu
Kommunalvertretungen und Provinziallandtagen. Auf den Landes-
ausschuß und seine Mitglieder fanden die Vorschriften der Reichsgesetze
zum Schutze der Volksvertretungen, insbesondere die $$ 11, 12, 105, 106,
339 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs Anwendung. Staatsrechtlich war er
freilich von den Landtagen der Bundesstaaten verschieden; denn da
das Reichsland kein Staat war, konnte es auch keinen Staatslandtag
haben. Aber gleichviel wie man die rechtliche Natur des Landesaus-
schusses theoretisch erklärte, tatsächlich fungierte er wie der Landtag
eines Bundesstaates und wurde wie ein solcher behandelt.
1) Els.-Lothr. zahlte einen Beitrag zu diesen Kosten, sowie für den Rechnungs-
hof und das Reichsoberhandelsgericht.