236 8 67a. Das Reichsland. Die Stimmen im Bundesrat.
seinem Gebiet eingefügtes Territorium, dessen unmittelbarer Herr das
Reich selbst ist; das Reich kann aber nicht sein eigenes Mitglied sein.
Um die den Bundesrat betreffenden Vorschriften auf Elsaß-Lothringen
anwendbar zu machen, mußte der Gesetzgeber zu einer Fiktion
greifen, Abs. 4 des Art. I bestimmt:
Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Art. 6 Abs. 2 und der Art. 7
und 8 als Bundesstaat.
Es gilt als Bundesstaat, obgleich es keiner ist; hinsichtlich be-
stinmmter Vorschriflen der Reichsverfassung soll Elsaß-Lothringen so
behandelt werden als wäre es ein Bundesstaat. Obgleich der Begriff
des Reichslandes von dem des Bundesglieds wesentlich verschieden ist
und diese Verschiedenheit gerade durch die Mitgliedschaft im Bundes-
rat und dem Ausschluß von demselben zum deutlichsten Ausdruck
gelangt, so soll diese Verschiedenheit als nicht vorhanden angesehen
und das Nichtmitglied Elsaß-Lothringen als Mitglied behandelt werden.
Der Gesetzgeber ist ja souverän und er kann verordnen, daß was
schwarz ist als weiß und was rot ist als blau gelten soll. Freilich
wird die Sache selbst dadurch nicht anders und auch die Bundesrats-
stimmen Elsaß-Lothringens sind und bleiben von denen der Bundes-
mitglieder in erheblicher Weise verschieden.
1. Der Anteil der Bundesmitglieder an der souveränen Staatsgewalt
des Reichs kommt im Bundesrat dadurch zur Verwirklichung, daß die
Mitglieder des Bundesrats Bevollmächtigte der Bundesglieder sind und
nach den ihnen erteilten Instruktionen abstimmen. Die Erteilung der
Instruktionen ist Sache der Bundesfürsten, bezw. der Senate der freien
Städte. Da der Kaiser die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübt,
also ihm die Rechte, welche die Landesherren in den Bundesstaaten
haben, im Reichslande zustehen, so müßten den elsaß-lothringischen
Bundesratsbevollmächtigten die Instruktionen vom Kaiser erteilt und
die 3 Stimmen des Reichslandes in dem vom Kaiser vorgeschriebenen
Sinne abgegeben werden. Art. IIS 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 31. Mai
1911 bestimmt jedoch:
»Der Statthalter ernennt und instruiert die Bevollmächtigten
zum Bundesrate.«
Dem Kaiser wird also ein in der Landesstaatsgewalt enthaltenes
Recht, welches alle Bundesfürsten haben, entzogen; er darf es nicht
ausüben; er ist aus diesem Recht durch den von ihm ernannten Statt-
halter verdrängt; die elsaß-lothringischen Mitglieder des Bundesrats
sind nicht Bevollmächtigte des Kaisers, sondern Bevollmächtigte seines
Statthalters.. Der Grund dieser sonderbaren, den allgemeinen Prin-
zipien des Reichsstaatsrechts direkt widersprechenden Vorschrift ist
klar. Der Kaiser führt im Bundesrat als König von Preußen 17 Stimmen,
deren Instruktion auf Grundlage des Berichts des preußischen Staats-
ministeriums erteilt wird; wenn er nun in Ausübung der Staatsgewalt
in Elsaß-Lothringen drei weitere Stimmen führen würde und der Be-