Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 67a. Das Reichsland. Die Stimmen im Bundesrat. 237 
richt und Antrag des elsaß-lothringischen Ministeriums von dem Bericht 
und Antrag des preußischen abweichen würde, so müßte der Kaiser, 
der ja mit dem König von Preußen identisch ist, entweder in der- 
selben Angelegenheit in verschiedenem Sinne stimmen, was widersinnig 
und lächerlich wäre und den Kaiser zu einer Marionette seiner Minister 
herabwürdigen würde, oder das elsaß-lothringische Votum müßte ein- 
fach dem preußischen weichen und die 3 elsaß-lothringischen Stimmen 
würden in allen Fällen den preußischen zuwachsen wie die (18.) Waldeck’- 
sche Stimme. Wenn dagegen die elsaß-lothringischen Bevollmächtigten 
vom Statthalter instruiert werden, so tritt der Kaiser nicht mit sich selbst 
in Widerspruch, wenn die preußischen und elsaß-lothringischen Stimmen 
in verschiedenem Sinne abgegeben werden und das preußische Staatsmi- 
nisterium hat auf die Abstimmung Elsaß-Lothringens keine Einwirkung. 
Der Sinn dieser sonderbaren Bestimmung, welche den Statthalter 
an die Stelle des Kaisers setzt, ist also der, daß der Statthalter von 
Elsaß-Lothringen anders stimmen kann als der König von Preußen. 
Aber glaubt man wirklich, daß in einer Angelegenheit von einiger 
Wichtigkeit der Statthalter, der vom Kaiser ernannt und abberufen 
wird, der im Dienst des Kaisers steht und sein Minister ist, gegen 
seinen kaiserlichen Herrn Opposition machen könne; daß der Statt- 
halter und der Reichskanzler entgegengesetzte Tendenzen verfolgen 
und gegen einander stimmen können? Wenn man erwägt, in welcher 
Weise durch Vorverhandlungen unter den Bundesregierungen die Ab- 
stimmungen im Bundesrat vorbereitet werden‘), so muß es als ausge- 
schlossen angesehen werden, daß die elsaß-lothringischen Stimmen den 
vom Kaiser (König) instruierten preußischen Stimmen entgegentreten. 
Bei Fragen von untergeordneter Bedeutung, bei Abstimmungen in den 
Ausschüssen, bei Beschlüssen über die Wortfassung wird man der elsaß- 
lothringischen Regierung das harmlose Vergnügen gönnen, ihre eigene 
Meinung selbständig zur Geltung zu bringen; bei allen Anträgen da- 
gegen, auf deren Annahme oder Ablehnung die Reichsregierung Wert 
legt, wird und muß sich die Tatsache geltend machen, daß das Reichs- 
land keine eigene und selbständige Staatsgewalt und keinen vom Reich 
unabhängigen Willen hat und daß nicht der Statthalter, sondern der 
Kaiser die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübt. Da im Bundesrat, 
wie sich Bismarck einmal ausdrückte, die Souveränität (Staatsgewalt) 
der Bundesstaaten ihren unbestrittenen Ausdruck findet (siehe Bd. I 
S. 237), dem Reichslande aber die eigene Staatsgewalt fehlt, so muß 
auch die Anteilnahme des Reichslandes am Bundesrat, trotz aller äußer- 
licher, formeller Gleichheit, dem Wesen nach eine andere Bedeutung 
haben als die der Bundesstaaten. 
2. Dies ist auch von dem Gesetzgeber nicht verkannt worden; 
er konnte sich nicht verhehlen, daß die elsaß-lothringischen Stimmen, 
wenngleich sie vom Statthalter instruiert werden, bei wichtigen Ange- 
1) Siehe meine Darstellung im Jahrbuch des öffentl. Rechts I (1907) S. 20 ff.
	        
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