Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

280 $ 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 
schaft der Souveränität hat, da ein Staat nicht gleichzeitig souverän 
und einer höheren Gewalt rechtlich unterworfen sein kann. Die 
Schutzverträge und Schutzbriefe schreiben dem entsprechend auch 
durchweg dem Kaiser (Reich) die Oberhoheit zu. Die Häuptlinge 
stellen sich in denselben unter den Kaiser, die Kolonialgesellschaften 
sind der Oberaufsicht der kaiserlichen Regierung unterworfen und zur 
Befolgung der in Ausübung der kaiserlichen Oberhoheit über das 
Schutzgebiet ferner zu treffenden Anordnungen verpflichtet. Das Reich 
ist also hinsichtlich der ihm zustehenden Schutzgewalt keiner staat- 
lichen Gewalt untergeordnet, folglich souverän. Auch dies ist un- 
bestritten. 
4. Die Schutzgewalt ist eine souveräne, aber sie war ursprünglich 
keine ausschließliche, alle staatlichen Aufgaben umfassende Staats- 
gewalt. 
Für das Reich handelte es sich vorzüglich um den Schutz der 
eigenen Angehörigen und der Angehörigen anderer zivilisierter 
Nationen, um die Förderung ihres Handels oder sonstigen Grewerbe- 
betriebs, um die Aufrechthaltung ihrer Verbindungen mit Deutsch- 
land, um die Gewährung der Möglichkeit, daß sie die aus der Zivili- 
sation hervorgehenden sozialen Bedürfnisse, soweit es die Umstände 
zulassen, befriedigen — und zugleich um die Ausschließung der Herr- 
schaft anderer Staaten von den Schutzgebieten, um die Erweiterung 
der Macht und des politischen Einflusses des Reichs. Für die staat- 
lichen Angelegenheiten der eingeborenen Bevölkerung zu sorgen, 
war dagegen kein Bedürfnis des Reichs. Wenngleich daher die all- 
mähliche Zivilisation der Eingeborenen und eine gewisse Fürsorge 
für ihr physisches und moralisches Wohl seit der ersten Erwerbung 
von Schutzgebieten eine Aufgabe der Kolonialpolitik war und gewisse 
staatliche Einwirkungen auf die Eingeborenen unerläßlich waren um 
die nächstliegenden Interessen der in den Schutzgebieten sich aufhal- 
tenden Reichsangehörigen zu fördern, so war doch die Regierung der 
Eingeborenen und die Handhabung der unter ihnen hergebrachten 
Herrschaftsrechte nicht der Zweck des Schutzverhältnisses und die 
Aufgabe des Reichs als Schutzstaats. Die Schutzgewalt wurde als 
Oberhoheit bezeichnet, wodurch das Vorhandensein einer unter- 
geordneten Hoheit angedeutet wurde. Die Erklärungen des Fürsten 
Bismarck in der Sitzung des Reichstages vom 26. Juni 1884 ') ließen 
über diese Tendenz der Kolonialpolitik keinen Zweifel und ihr ent- 
sprach die Regelung der Verhältnisse in den zuerst erworbenen Schutz- 
gebieten. Sie mußte auch für die staatsrechtliche Auffassung der Schutz- 
gewalt maßgebend sein, wenn sie dem damals geltenden Recht ent- 
sprechen sollte. Nach kurzer Zeit änderten sich aber diese Tendenz 
der Kolonialpolitik und die rechtliche Gestaltung der Schutzgewalt, 
1) Drucksachen des Reichstages von 1884, S. 1062. Auch abgedruckt bei Sa- 
bersky in der unten S. 285 Note 2 zitierten Schrift S. 3.
	        
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