Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

$ 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 981 
welche sich immer mehr einer vollen Staatsgewalt näherte. Dies war 
teils durch die Bedürfnisse und Interessen der einheimischen Bevölke- 
rungen selbst geboten, namentlich hinsichtlich ihrer Erwerbs- und Be- 
sitzverhältnisse, Besteuerung, Gerichtsschutz usw., teils entsprach es 
den Traditionen der büreaukratischen Verwaltung und den sie be- 
herrschenden Vorstellungen von den Aufgaben der Staatsgewalt. In 
denjenigen Schutzgebieten, in welchen ursprünglich die Ausübung von 
Hoheitsrechten Kolonialgesellschaften übertragen war, wurde sie vom 
Reich übernommen, und in denjenigen Gebieten, in welchen den 
Häuptlingen Hoheitsrechte zugestanden worden sind, wurde deren Aus- 
übung der Regelung und Beaufsichtigung durch das Reich unter- 
worfen. Es herrscht daher jetzt allgemein Uebereinstimmung darüber, 
daß die Schutzgewalt nicht nur eine souveräne, sondern auch inhalt- 
lich volle Staatsgewalt ist!., Dessen ungeachtet besteht in dieser Hin- 
sicht unter den einzelnen Schutzgebieten eine Verschiedenheit. 
a) Nachdem die Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft und die Neu- 
Guinea-Kompagnie auf die ihnen zustehenden Hoheitsrechte verzichtet 
und sie dem Reich übertragen haben, ist das Reich der alleinige 
Träger aller Herrschaftsrechte in den Schutzgebieten von Ost- 
afrika?, den Marschall-Brown- und Providence-In- 
seln°) und von Neu-Guinea mit Einschluß der ehemals spani- 
schen Inseln der Karolinen, Palau und Marianen‘). 
b) Dasselbe gilt von dem Schutzgebiete von Kiautschou. Denn 
wenngleich dasselbe dem Deutschen Reich nur »pachtweise« über- 
tragen worden ist, so stehen dem Reich doch alle Rechte der Staats- 
gewalt zur Ausübung zu; das Recht des Kaisers von China ist ein 
nudum jus, welches nicht in der Geltendmachung irgend eines Ho- 
heitsrechts, sondern allein in dem Anspruch auf Wiedererlangung des 
Gebietes nach Ablauf der sogenannten Pachtzeit, also in einem event. 
Heimfallsrecht besteht’). Im Gegensatz dazu hat das Reich in 
1) Vgl. Köbner S. 1082 ff. 
2) Hinsichtlich des vom Sultan von Zanzibar abgetretenen Küstenstrichs und der 
Insel Mafia ist der Erwerb ein derivativer und rechtlich in keiner Weise verschieden 
von jedem anderen Gebietserwerb, welcher durch einen Staatsvertrag erfolgt; hin- 
sichtlich der im Schutzbrief von 1885 bezeichneten Länder hat sich die Schutzgewalt 
des Reichs durch den Verzicht der ostafrikan. Gesellschaft auf ihre Hoheitsrechte zur 
vollen Staatsgewalt konsolidiert. 
3) Der Erwerb beruht auf Okkupation. In keinem der mit einzelnen Ein- 
geborenen abgeschlossenen Verträge sind einheimischen Häuptlingen irgend welche 
Hoheitsrechte beigelegt worden. Ebensowenig sind der „Jaluitgesellschaft“ Hoheits- 
rechte verliehen worden; dieselbe hat sich im Gegenteil zur Uebernahme der Kosten, 
welche die Verwaltung des Schutzgebietes verursacht, unter der Bedingung bereit 
erklärt, daß die Rechte der Landeshoheit einschließlich der Gerichtsbarkeit durch 
Reichsbeamte ausgeübt werden. 
4) Die Verhältnisse liegen hier ganz ebenso wie in dem ostafrikanischen Schutz- 
gebiete hinsichtlich des vom Sultan von Zanzibar abgetretenen Küstenstrichs. 
5) Daß keine Pacht im Sinne des Zivilrechts vorliegt, ist so zweifellos und
	        
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