Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

290 8 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 
wohnenden Chinesen sind nach dem Vertrage vom 6. März 1898 
Art. V Abs. 3 Untertanen Chinas geblieben, also keine Untertanen des 
Deutschen Reichs'). 
VI. Die Ausübung der Staatsgewalt. Die Reichsver- 
fassung enthält darüber keine besondere Vorschrift. Im Art. 4, Ziff. 1 
werden zwar unter denjenigen Gegenständen, welche der Beaufsich- 
tigung und der Gesetzgebung des Reiches unterliegen, auch »die Be- 
stimmungen über die Kolonisation« aufgeführt, und wenngleich man 
bei diesem Ausdruck zunächst an die Errichtung von Flottenstationen, 
nicht an die Erwerbung von Schutzgebieten gedacht hat?), so ist doch 
der Ausdruck so vage und vieldeutig, daß auch die Schutzgebiete dar- 
unter gebracht werden können. Allein hieraus folgt nur, daß die 
Regelung der Verhältnisse der Schutzgebiete zur Kompetenz des 
Reiches, im Gegensatz zur Kompetenz der Einzelstaaten, gehört; aber 
es ergibt sich hieraus nichts für die Beantwortung der Frage, inwieweit 
die einzelnen Organe des Reiches an der Regelung und Handhabung 
der Schutzgewalt mitzuwirken haben. Insbesondere ist es ein Trugschluß, 
aus der Anordnung, daß dem Reich die Gesetzgebung über Kolonisa- 
tion zusteht, zu folgern, daß die Ordnung der Rechtszustände in den 
Schutzgebieten in der Form der Reichsgesetzgebung erfolgen müsse °). 
Ebensowenig ist andererseits Art. 11, Abs. 1 von Belang, wonach 
der Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten hat?). Denn wenn- 
gleich diese Vertretung fremden Staaten gegenüber auch hin- 
sichtlich der Schutzgebiete in vollem Umfange Platz greift, so ist doch 
die Schutzgewalt kein völkerrechtliches Verhältnis und die Ausübung 
derselben in den Schutzgebieten selbst keine völkerrechtliche Ver- 
tretung?). 
ob der Beliehene wie ein Farbiger oder wie ein Weißer zu behandeln ist (Verordn. 
& 3 Abs. 2), so hat diese Landesangehörigkeit eine sehr geringe staatsrechtl. Bedeu- 
tung; sie beschränkt sich im wesentlichen darauf, daß der Landesangehörige zur Füh- 
rung der Reichsflagge keiner besonderen Erlaubnis bedarf. Vgl. Hesse, Zeitschrift 
für Kolonialpolitik 1904, S.4 ff.; Hauschild SS. 29fg.; Köbner S. 10%. 
1) Siehe oben S. 274. v. Poser S. 43. 
2) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des verfassungsberatenden Reichs- 
tages 1867, S. 271 fg. 
3) Diese Ansicht ist von Hänel, Stenogr. Berichte des Reichstags 1885/86, 
S. 1608 aufgestellt und von Windthorst ebenda S. 1610 adoptiert worden. Hänel 
hat seine Ansicht im Staatsrecht I, S. 839, Note 6 aufrecht erhalten. Der „Trug- 
schluß“ besteht in der Mißdeutung des Art. 4 der Reichsverfassung, welcher die 
Kompetenz des Reichs gegenüber den Einzelstaaten abgrenzt, aber nichts dar- 
über bestimmt, durch welche Organe das Reich die ihm zustehenden Befug- 
nisse, insbesondere Verwaltungsbefugnisse, auszuüben habe Vgl. auch Zorn], 
S. 570, Note 12. 
4) Aus diesem Artikel leitet Bornhak S. 13 ein Recht des Kaisers auf die 
Staatsgewalt in den Schutzgebieten her. Ein ähnliches Mißverständnis auch bei 
v. Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der Kolonien S. 56 und im 
Kommissionsbericht des Reichstages S. 985. 
5) Vgl. den angeführten Kommissionsbericht S. 986.
	        
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