302 $ 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete.
das Reichskolonialamt ermächtigt worden, Anordnungen zu treffen
über das Eingeborenenrecht und die Gerichtsbarkeit über Eingeborene,
auch soweit Nichteingeborene beteiligt sind; bis zum Erlaß neuer Vor-
schriften sind die bisher ergangenen Anordnungen in Geltung erhalten
worden.
1. In-Kamerun ist die Gerichtsbarkeit bei Streitigkeiten unter
Eingeborenen und bei Strafsachen derselben seit 1892 für die einzelnen
Stämme durch Verordnungen des Gouverneurs geregelt worden, welche
im wesentlichen gleichlautend sind!)
2. In Togo haben ebenfalls die Häuptlinge eine Gerichtsbarkeit
bei Streitigkeiten unter Eingeborenen; jedoch üben die Bezirksamt-
männer die Strafgerichtsbarkeit aus und der Gouverneur bildet in allen
Sachen die höchste Instanz.
3. In Südwestafrika stand die Gerichtsbarkeit in allen Streit-
sachen unter Eingeborenen den Häuptlingen auf Grund der Schutz-
verträge ausschließlich zu; durch den Aufstand haben sie diese obrig-
keitlichen Rechte verwirkt. Richter erster Instanz sind die Bezirks-
amtmänner und Distriktschefs; in zweiter Instanz entscheidet der
Oberrichter; die Zuziehung von Eingeborenen kann stattfinden. Ueber
Klagen von Weißen gegen Eingeborene erkennen die Verwaltungsbe-
hörden unter Zuziehung von Eingeborenen ?).
4. In Ostafrika wird die bürgerliche Gerichtsbarkeit erster In-
stanz durch den Bezirksamtmann unter Mitwirkung eines eingeborenen
Richters, des Wali, ausgeübt; auch können farbige Beisitzer zugezogen
werden; in zweiter Instanz entscheidet der Oberrichter. Für die Straf-
gerichtsbarkeit gelten die Vorschriften der Verordnung vom 22. April 1896.
Bürgerliche Streitigkeiten, bei denen der Wert des Streitgegen-
standes 100 Mark nicht überschreitet, und kleinere Strafsachen werden
durch den eingeborenen Häuptling des Beklagten erledigt.
Es werden ferner Eingeborenen-Gerichte unter der Benen-
nung »Schiedsgerichte« gebildet, deren Mitglieder und Stellvertreter
vom Gouverneur ernannt werden. Die Ernennung ist jederzeit wider-
ruflich. Das Schiedsgericht ernennt selbst seinen Vorsitzenden und
einen Sekretär, welcher über jeden Streitfall ein Protokoll zu führen
hat °). Das Schiedsgericht ist zuständig als Berufungsinstanz gegen die
1) Die Verordnungen sind veröffentlicht im Kolonialblatt; ferner bei Zimmer-
mann, Bd. 2, S. 130, 177, 178, 182, 218 usw.
2) Verordnung des Gouverneurs vom 1. Januar 1899 und 23. Februar 1899 Kolo-
nialbl. S. 232, 269. Zimmermann IV, S. 24, 42.
3) In den zahlreichen Bezirken, in welchen diese Einrichtung getroffen worden
ist, fehlt es nicht an Leuten, „die der Schrift kundig sind“, was der Gouverneur in
der Verordnung für den Mangamba-Stamm ausdrücklich hervorhebt (Zimmermann
S. 130). Das Protokoll hat das Datum des Sitzungstages, die Namen der Richter
und der Parteien, den Gegenstand und Grund des Rechtsstreites, sowie die erlassene
Entscheidung zu enthalten. — Es beleuchtet dies die Behauptung, daß die Eingebore-
nen der afrikanischen Schutzgebiete „Wilde“ seien (oben S. 282, Note 1).