64 S 56. Gesetze im formellen Sinne.
im formellen Sinn ist ein Willensakt des Staates, der in einer bestimm-
ten feierlichen Weise zustande gekommen und erklärt worden ist').
Den gemeinsamen Ausgangspunkt für beide Begriffe, der die Verwen-
dung desselben Ausdrucks für zwei so verschiedene Dinge erklärt,
bildet der Satz, daß Anordnungen von Rechtssätzen von Rechtswegen
der Regel nach nur auf dem verfassungsmäßig bestimmten Wege er-
folgen dürfen, der deshalb der Weg der Gesetzgebung heißt.
II. Die doppelte Bedeutung des Wortes »Gesetz« im materiellen
und formellen Sinne macht sich auch noch in einer anderen, praktisch
wichtigen Richtung geltend. Der Ausdruck »Gesetzgebung« wird im
objektiven und subjektiven Sinne verstanden; in diesem bedeutet er
die Befugnis zum Erlaß von Vorschriften (Kompetenz), in jenem be-
deutet er die Summe der auf Grund der Gesetzgebungsbefugnis in
gültiger Weise erlassenen Vorschriften. Wenn der Verfassungssatz be-
besteht, daß eine gewisse Materie von der »Reichsgesetzgebung« aus-
geschlossen sei, so bedeutet das nicht, daß das Reich diese Materie in
der Form der Verordnung regeln dürfe, sondern es will damit gesagt
werden, daß diese Materie überhaupt der Willensmacht des Reiches
entrückt und z. B. der der Einzelstaaten überwiesen sei. In diesem Sinne
wird »die Bundeslegislative« oder »Bundesgesetzgebung« in dem baye-
rischen Verfassungsbündnis und dem dazu gehörigen Schlußprotokoll
Kritische Studien zur Lehre vom Rechtssatz, Leipzig 1891 (treffende Widerlegung
von Hänel) und Enzykl. S.592 ff. Dambitsch 8.37. Auch dasReichsgericht
hat in zahlreichen Entscheidungen den materiellen Gesetzesbegriff, welcher eine
Rechtsnorm zur Voraussetzung hat, zugrunde gelegt und Anordnungen anderen
Inhalts, welche in der Form des Gesetzes ergehen, davon unterschieden. Die von
Arndt das selbständige Verordnungsrecht S. 16 ff. aufgestellte Behauptung des Ge-
genteils ist von Hubrich; das Reichsgericht über den Gesetzes- und Verordnungs-
begriff, in glänzender Weise auf Grund eines reichen Materials widerlegt worden.
Ueber das Verhältnis des formellen Gesetzbegriffes zum materiellen vgl. auchBorn-
hak, Allgem. Staatslehre (1909) S. 167 ff., 180. Daß auch dem älteren römischen
Staatsrecht diese Unterscheidung nicht fremd war, zeigt die Abhandlung von Alfr.
Pernice, Formelle Gesetze im römischen Rechte, Berlin 1888.
1) In der Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789, Art. 6 heißt es:
„La loi est l’expression de la volont&e generale.“ In ähnlicher Weise definiert Por-
talis: „La loi est une declaration solennelle de la volonte du Souverain sur un objet
d’inter&t commun.“ (Locre, Legislat. de la France I, p. 266, nro.21.) Merlin, R£-
pertoire Art. „Loi“ 8 2 (Tome XVIIL, p. 384 sq.) setzt ausführlich auseinander, daß
nicht jede Erklärung des pouvoir legislatif einen Rechtssatz schaffe, dennoch aber
als Gesetz anzuerkennen sei, denn die konstituierende Versammlung habe durch De-
kret vom 9. November 1789 beschlossen, „que tous ses decrets, qui seraient revötus
de la sanction royale, portassent indistinctement le nom et l’intitul& de Lois“. Die
Verfassung vom 5. Fructidor des Jahres III, Art. 92 sagt: „Les resolutions du Con-
seil des Cingcents adoptees par le Conseil des Anciens s’apellent Lois.“ Dieser for-
melle Begriff des Gesetzes ist in der neueren französischen Literatur der ausschließ-
lich herrschende, nur daß natürlich die Erfordernisse mit jeder Verfassungsänderung
wechseln. Vgl. jetzt auch Jellinek S. 81 fg. Auf dem Standpunkt des französi-
schen formellen Gesetzesbegriffs steht Otto Meyer, Deutsches Verwaltungsrecht ],
S. 67 ff.