$ 58. Die Rechtsverordnungen des Reiches. 093
gleichviel worin ihr Inhalt bestanden habe, bezeichnet worden sein;
das Reichsverordnungsrecht aber sei nach dem erklärten oder doch
mutmaßlichen Willen der Verfassungskontrahenten an die Stelle des
(preußischen) Landesverordnungsrechts getreten }).
Was das preußische Recht anlangt, so muß ich hier auf eine Wider-
legung Arndts verzichten, da dieselbe sich nicht ohne ausführliche
Erörterungen erbringen läßt?); gleichviel aber, wie man hierüber denkt,
in keinem Falle kann es als zutreffend anerkannt werden, daß die in
der preußischen Monarchie angeblich geltenden Grundsätze ohne
weiteres für das Reich maßgebend sein sollen. Außer der wesent-
lichen Verschiedenheit der Verfassungsform kommt eben in Betracht,
daß die preußische Verfassungsurkunde ihren Art. 45 enthält, dem in
der Reichsverfassung kein Artikel entspricht.
Zweitens beruft sich Arndt auf den Sprachgebrauch der Reichs-
gesetze und namentlich der Reichsverfassung selbst. Da die Bestim-
mung des Art. 7, Ziff. 2 aus Art. 37 der norddeutschen Bundesver-
fassung herübergenommen ist und sich ursprünglich nur auf die Zölle
und Verbrauchsabgaben bezog, so legt Arndt das Hauptgewicht auf
den Sprachgebrauch der Zoll- und Steuergesetze. Er beruft sich (S. 36)
auf $S 152 des Vereinszollgesetzes vom 1. Juli 1869, welcher eine Ord-
nungsstrafe androht für die Uebertretung der Vorschriften dieses Ge-
setzes, sowie der infolge derselben öffentlich bekannt gemachten »Ver-
waltungsvorschriften«. Hier ist aber der Rechtssatz, nämlich die
Strafbarkeit der Zuwiderhandlung durch das Gesetz selbst sanktio-
niert; nur ist dasselbe ein Blanketstrafgesetz, dessen Tatbestände durch
die Zollregulative festgestellt werden. Insoweit diesen Regulativen also
die Kraft der Rechtsvorschrift innewohnt, verdanken sie dies nicht der
Autorität des Bundesratsbeschlusses, sondern der des Reichsgesetzes.
Ganz dasselbe gilt von den von Arndt weiter angeführten (S. 37 ff.)
entsprechenden Blanketstrafbestimmungen der Gesetze über die ein-
zelnen Verbrauchsabgaben. Insoweit ferner die zu den Zoll- und Steuer-
gesetzen erlassenen Ausführungsbestimmungen anderweitige Rechtsvor-
schriften enthalten, beruhen dieselben — wie Arndt für den weit-
aus größten Teil selbst zugibt — auf speziellen Delegationen der Steuer-
gesetze. Diese Delegationen wären ja aber völlig überflüssig, wenn der
Bundesrat auch ohne dieselben zum Erlaß dieser Anordnungen befugt
wäre. Daß sie in so großer Zahl in den Zoll- und Steuergesetzen des
Reiches sich finden, spricht doch wohl dafür, daß die gesetzgebenden
Faktoren sie trotz Art. 7, Abs. 2 der Reichsverfassung für notwendig
erachten. Auch der Umstand, daß in einer und derselben Verordnung
häufig Verwaltungs- und Rechtsvorschriften verbunden sind, was durch
die sachliche Zusammengehörigkeit derselben unumgänglich notwendig
1) Arndt S. 85.
2) Diese Wiederlegung ist jetzt in den S.1 zitierten Schriften von Anschütz
und Hubrich in gründlicher Weise erbracht worden.