452 $ 90. Die Rechtsanwaltschaft.
trachtet worden und doch ist sie durch die bundesstaatliche Ordnung
des Gerichtswesens, ja man kann fast sagen durch die ganze bundes-
staatliche Ordnung des Reiches beherrscht und aus diesem Grunde
nicht ohne staatsrechtliches Interesse. Es sollen hier nur diejenigen
Punkte hervorgehoben und erörtert werden, welche das öffentliche
Recht betreffen; eine vollständige Darstellung der Rechtsanwalts-
ordnung gehört nicht in den Rahmen des Reichsstaatsrechts, eben-
sowenig das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Partei.
Das staatsrechtliche Interesse beruht auf dem engen Zusammen-
hange der Anwaltschaftsordnung mit der Gerichtsverfassung und in-
folgedessen mit den staatlichen Hoheitsrechten. In dieser Beziehung
hat nun aber die Organisation der Rechtsanwaltschaft einen höchst
eigentümlichen Charakter, der sich aus einer eigenartigen Doppel-
stellung des Rechtsanwalts herleitet. In dem Berufe des Rechtsanwalts
sind zwei Stellungen verbunden, die sonst ganz getrennt sind, ja
meist unvereinbar scheinen, nämlich die Wahrnehmung eines öffent-
lichen Amtes und der Betrieb eines Privatgewerbes; freilich decken
sich beide nicht vollkommen; das Geschäft des Rechtsanwalts umfaßt
auch vieles andere als die Ausübung öÖffentlich-rechtlicher Funktionen,
aber immerhin bildet diese den wichtigsten Teil seines Gewerbes.
Wenn gesagt wird, der Rechtsanwalt bekleide ein öffentliches Amt,
so muß daran erinnert werden, was oben Bd. 1, $ 44 bereits ausge-
führt worden ist, daß der Begriff des Amtes und derjenige des Be-
amten keineswegs zusammenfallen. Der Rechtsanwalt hat ein öffent-
liches Amt und er ist doch kein Beamter'); er versieht sein Amt nicht
kraft einer Dienstpflicht, sondern er macht aus der Wahr-
nehmung der zu seinem Amte gehörenden Geschäfte ein Gewerbe).
Auch sind die den Inhalt seiner Amtstätigkeit bildenden Geschäfte
nicht Staatsgeschäfte im strikten .Sinne; sie gehören nicht zur Verwal-
tung der staatlichen Herrschaftsrechte, zur unmittelbaren Verwirk-
lichung der staatlichen Aufgaben; der Rechtsanwalt hat überhaupt nicht
Geschäfte des Staates als eines individuellen Rechtssubjekts wahr-
zunehmen, wohl aber Geschäfte, die in der objektiven Rechts-
ordnung des Staates als notwendig zur Durchführung der staatlichen
Aufgaben vorausgesetzt und begründet sind. Die Prozeßordnungen
des Reiches setzen die Teilnahme von Rechtsanwälten an der Führung
der Prozesse voraus. Die Zivilprozeßordnung hat im 8 78 die unbe-
dingte und ausdrückliche Vorschrift aufgestellt, daß die Parteien vor
den Landgerichten und vor allen Gerichten höherer Instanz sich durch
einen bei dem Prozeßgerichte zugelassenen Rechtsanwalt als Bevoll-
mächtigten vertreten lassen müssen; und die Strafprozeßordnung hat
1) Beides wird ausdrücklich bestätigt im Strafgesetzbuch $ 31, Abs. 2, und 359.
Siehe oben Bd. 1, S. 431.
2) Vgl. die Entscheidung des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 55, S. 167 ff. (be-
trifft die Pflicht zur Entrichtung der Gewerbesteuer).