96 $ 101. Das stehende Heer.
liebiger anderer Art die Verausgabung für das Heer festgestellt werden.
Freilich tritt diese Anordnung formell nicht in Wirksamkeit, wenn ein
Etatsgesetz zustande kommt; denn in diesem Falle finden die gesamten
Militärausgaben durch den Etat selbst und soweit erforderlich durch
die Matrikularbeiträge ihre Deckung. Aber wenn ein Etatsgesetz
nicht vereinbart ist, der Reichskanzler also die im Art. 70 der Reichs-
verfassung vorgesehenen Matrikularbeiträge nicht erheben darf, dann
treten die Militärbeiträge des Art. 62 teilweise an die Stelle derselben,
und das gerade ist der Zweck dieser Anordnung !).
Der Art. 62 der Reichsverfassung ist hervorgegangen aus einem
Amendement der Abgeordneten Herzog v. Ujestund v. Bennigsen,
welches der Reichstag von 1867 erst in der Schlußberatung des Ver-
fassungsentwurfes angenommen hat, und das einen Ausgleich zwischen
den Ansprüchen der Regierung und denen der Reichstagsmehrheit
darstellte. Die Regierung forderte, daß die Friedenspräsenzstärke
dauernd festgestellt werde ?), und akzeptierte eine interimistische Fest-
stellung derselben nur unter der Bedingung, daß wenigstens die Ein-
nahmen der Bundeskasse, die zur Bestreitung des für das Heer er-
forderlichen Aufwandes unerläßlich sind, dauernd sichergestellt werden °).
Es wurde dadurch im wesentlichen für den Norddeutschen Bund die-
selbe Grundlage gewahrt, die im preußischen Staatsrecht anerkannt
ist, indem nach dem Art. 109 der preußischen Verfassungsurkunde die
Forterhebung der bestehenden Steuern und Abgaben von der jährlichen
Etatsfestsetzung unabhängig ist. Die preußische Regierung war nicht
Willens, diese verfassungsmäßig vorhandene Grundlage aufzuopfern
und den Fortbestand der preußischen Armee vom Jahre 1572 ab dem
willkürlichen Gutbefinden einer Reichstagsmajorität anheimzugeben, und
der Reichstag bestand nicht auf einem solchen Verlangen, sondern be-
gnügte sich mit der vollen Wahrung des Ausgabebewilligungsrechts
1) Freilich würden diese Beträge gegenwärtig nicht entfernt mehr zur Deckung
der Militärausgaben ausreichen, wodurch die Frage, ob Art. 62, Abs. 2 der Reichs-
verfassung noch in Geltung stehe, ihre praktische Bedeutung zum größten Teil ein-
gebüßt hat. Der Einwand von SeydelS. 344, daß, wenn Art. 62 den von mir be-
haupteten Sinn hätte, auch im Etatsgesetz neben den Matrikularbeiträgen die auf
Grund des Art. 62 zu zahlenden Beiträge formell gesondert erscheinen müßten,
kann ich nicht für richtig halten. In den Matrikularbeiträgen erscheinen mit Rück-
sicht auf die Finanzwirtschaft alle diejenigen Beiträge der Bundesstaaten, welche
erforderlich sind, um die Differenz zwischen den anderen etatsmäßigen Einnahmen
und dem Gesamtbetrage der Ausgaben zu decken, ohne Rücksicht auf den Verwen-
dungszweck. Die Pflicht der Einzelstaaten zur Zahlung der Matrikularbeiträge über-
deckt daher ihre Pflicht zur Zahlung aus Art. 62 und macht die besondere etats-
mäßige Feststellung derselben unnötig.
2) Entwurf zur Verfassung Art. 58.
3) In diesem Sinne verstanden alle Redner das Amendement Ujest, welche
über dasselbe das Wort nahmen. Vgl. Stenogr. Berichte des konstit. Reichstags 1867,
S. 716ff., 723ff. Vgl. ferner die Ausführungen des Abg. v. Bennigsen bei der Dis-
kussion des $ 1 des Militärgesetzes. (Stenogr. Berichte, I. Session 1874, S. 755.)