Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

$ 116. Die Reichsschulden. 369 
sowie die Uebernahme einer Garantie zu Lasten des Reiches 
erfolgen.« 
Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieser Artikel im wesentlichen die 
Finanzschulden treffen will. Im Zusammenhange mit Art. 69 bis 72, 
welche die Einnahmen und Ausgaben des Reiches behandeln, bezieht 
der Art. 73 sich auf den Fall, daß die durch Reichsgesetze der Ver- 
waltung zur Verfügung gestellten Einnahmen nicht ausreichen für die 
durch außergewöhnliche Aufwendungen gesteigerten Ausgaben, so daß 
der Reichskredit in Anspruch genommen werden muß, um der 
Reichsverwaltung die erforderlichen Mittel zuzuführen. Dagegen ist 
es sachlich ebenso unmöglich als dem Wortlaut des Artikels wider- 
sprechend, für jede Uebernahme einer Schuldverbindlichkeit seitens 
des Reiches den Weg der Reichsgesetzgebung für erforderlich zu hal- 
ten; es versteht sich vielmehr von selbst, daß auch die Verwaltung 
des Reiches so gut wie die Verwaltung jedes anderen Gemeinwesens 
fortwährend Schuldverpflichtungen kontrahieren muß und dazu inner- 
halb des ihr im allgemeinen überwiesenen Geschäftskreises bevoll- 
mächtigt ist. Der Art. 73 jedoch unterscheidet nichtin sachlicher 
Weise zwischen Finanz- und Verwaltungsschulden, sondern er nor- 
miert seine Vorschrift nach einem formellen Gesichtspunkt, indem 
er diejenigen zivilrechtlichen Geschäfte, welche vorzugsweise zur Kon- 
trahierung von Finanzschulden dienen, nämlich Anleihe und Bürg- 
schaftsleistung, der Regierung nur aufGrund eines Reichsgesetzes gestattet. 
Er verbietet also der Reichsregierung nicht direkt die Ausbeutung des 
Reichskredits ohne spezielle gesetzliche Genehmigung, sondern er er- 
schwert ihr nur diese Ausbeutung, indem er die beiden praktisch 
wichtigsten Mittel dazu verschließt. Die Folge davon ist, daß aucb 
Finanzschulden ohne vorherige reichsgesetzliche Ermächtigung kon- 
trahiert werden können, wenn nur die beiden erwähnten Rechts- 
geschäfte vermieden werden; namentlich durch Ausstellung oder An- 
nahme von Wechseln, durch Kreditoperationen mit der Reichs- 
bank oder Seehandlung u. dgl.; daß dagegen andererseits Kredit- 
operationen der laufenden Verwaltung, welche durch die etatsmäßigen 
Ausgaben und Einnahmen ihre vollständige Erledigung finden, doch 
der besonderen Genehmigung durch Gesetz alsdann bedürfen, wenn 
sie in der Form der Anleihe oder Bürgschaftsleistung erfolgen. Der 
erste dieser beiden Fälle ist praktisch nicht von Belang‘), um so mehr 
der zweite. 
1) Daß er aber nicht völlig ausgeschlossen ist, beweist der in Hirths Annalen 
1873, S. 446, Note 1 von mir angeführte Fall, in welchem es sich um eine Finanz- 
schuld von 150 Millionen Mark handelte! Vgl. Drucksachen des deutschen Reichs- 
tages, I. Sess. 1871, Nr. 42. Ein anderer, sogar reichsgesetzlich geregelter 
Fall der Kontrahierung von Finanzschulden ohne die Form der Anleihe und auch 
ohne Anleihegesetz sind die sogenannten Anerkenntnisse für Kriegsleistungen, 
Siehe oben S. 285 fg. Sie stellen echte Finanzschulden dar, denn sie finden in
	        
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