Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

68 & 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten. 
Spielraum übrig lassen, tragen die Kriegsminister eine Verantwortlich- 
keit für den Inhalt ihrer Verfügungen. Auch in dieser Hinsicht be- 
steht daher keine prinzipielle Verschiedenheit zwischen der 
Militärverwaltung und anderen Verwaltungszweigen und nur graduell 
ist die freie Willensentschließung und folgiich auch der Umfang der 
Verantwortlichkeit enger begrenzt. 
Auch die Militärbeamten sind Landes beamte, auf welche aber 
das Reichsbeamtengesetz anwendbar ist, weil sie nach Vorschrift der 
Reichsverfassung den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten ver- 
pflichtet sind. (Siehe Band 1, S. 443 fg.)'). 
Dem Reiche steht nach Art. 4 der Reichsverfassung die Beauf- 
sichtigung des Militärwesens aller Bundesstaaten zu. Ueber diese 
Funktion gelten die Bd. 2, S. 199 ff. erörterten Rechtssätze. Die Aus- 
übung dieser Tätigkeit liegt dem Reichskanzler ob; für dieselbe 
kann ein Spezialstellvertreter nicht ernannt werden, da das Militär- 
wesen nicht zu denjenigen Amtszweigen gehört, welche sich in der 
eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches befinden ?). 
1) Wenn Hänel S.524, Meyer, Verwaltungsrecht II, S. 41, Note 17, Arndt, 
Staatsrecht S. 483 sich für ihre Theorie darauf berufen, daß in der zur Ausführung 
des Reichsbeamtengesetzes erlassenen kaiserl. Verordnung vom 23. November 1874 
(Reichsgesetzbl. S. 135) die Kriegsministerien und anderen Organe der Militärver- 
waltung als Reichsbehörden bezeichnet werden, so ist dies vollkommen ver- 
fehlt. Das Reichsbeamtengesetz findet nicht bloß auf Reichsbeamte, sondern auch 
auf gewisse Landesbeamte (sogenannte mittelbare Reichsbeamte), Anwendung, 
unterscheidet aber bei den einzelnen Artikeln nicht jedesmal beide Kategorien, was 
eine weitschweifige und pedantische Fassung des Gesetzes verursacht haben würde, 
sondern es legt seiner Fassung die weitaus wichtigste und zahlreichste Kategorie, 
die eigentlichen (unmittelbaren) Reichsbeamten zugrunde. Insoweit dieses Ge- 
setz die Zuständigkeit der obersten Verwaltungsbehörde normiert, spricht es daher 
von der obersten Reichsbehörde, ohne jedesmal hinzuzufügen, daß hinsichtlich der 
mittelbaren Reichsbeamten die betreffende oberste Landesbehörde diese Funktion 
ausübt, so wenig wie die Zivilprozeßordnung jedesmal neben dem Reichsgericht das 
oberste Landesgericht in Bayern erwähnt. Wenn daher die Verordnung vom 23. No- 
vember 1874 bestimmt, daß die „Zuständigkeit, welche in dem Reichsbeamtengesetz 
der obersten Reichsbehörde beigelegt wird“, auch von den „königl. preußischen, 
sächsischen und württembergischen Kriegsministerien* ausgeübt wird, so hat dies 
gar keinen Zusammenhang mit der Frage, ob diese Behörden Reichs- oder Landes- 
behörden sind. Es ist Sophistik, aus dem Umstande, daß in dem der Verordnung 
beigefügten Verzeichnis diese Kriegsministerien neben den obersten Reichsbehörden 
aufgeführt werden, den Schluß herzuleiten, daß sie im Sinne des Verfassungsrechts 
nicht Landesbehörden, sondern Reichsbehörden seien. Die Entscheidung dieser Frage 
kann man auch damit nicht umgehen, daß man sie als „mittelbare Reichsbehörden“ 
bezeichnet; so Arndt S. 698, 702; es ist dies ein von Arndt erfundener, dem 
Reichsrecht unbekannter Ausdruck, dem kein Begriff entspricht. Dambitsch S. 603 
meint, daß den Kriegsministerien durch die Kab.-O. v. 23. November 1874 die Stel- 
lung von obersten Reichsbehörden „verliehen“ worden sei; als ob diese Eigenschaft 
einer Landesbehörde wie ein Titel verliehen und dadurch ihr staatsrechtlicher Cha- 
rakter verändert werden könnte. 
2) Reichsgesetz vom 17. März 1878, $ 2 (Reichsgesetzbl. S. 7). Jo&l in Hirths 
Annalen 1878, S. 786. Vgl. oben Bd. 1, S. 384. Insbesondere kann daher auch nicht
	        
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