- 46 —
III. Kapitel.
Die prinzipielle Rechtsstellung des Kaisers
in den beiden Verfassungen.
1. Abschnitt.
815. Unverantwortlichkeit und Unverletzlichkeit.
Eidliche Verpflichtung des Kaisers auf die Ver-
fassung.
Dem Verfassungsrecht eines Staatswesens pflegt
ein bestimmtes Prinzip bezüglich der Handhabung der
Staatsgewalt zugrunde zu liegen. Man spricht dem-
gemäss von Monarchien, Demokratien, Aristokratien.
Verhältnismässig selten ist aber im modernen Staat
die Macht so verteilt, dass dieselbe den logischen Be-
griffsmerkmalen der einen oder anderen der genannten
staatlichen Hauptformen vollkommen entspräche. Auch
der Reichsstaat der Verfassungen des Deutschen Reichs
von 1849 und 1871 lässt sich nicht unbedingt unter
eine der genannten Kategorien von Staatssystemen
unterordnen. Das Deutsche Reich stellt vielmehr in
beiden Verfassungen eine Art Mittelstufe staatlicher
Organisation dar. Dementsprechend kann auch die
Stellung des Kaisers als Inhabers staatlicher Macht-
sphäre in dem Reichsstaate der beiden Verfassungen
nicht nach Massgabe einer bestimmten Staatsform
umschrieben werden. |
Nach beiden Verfassungen ist der Kaiser unver-
antwortlich und unverletzlich. $ 73, Abs. 1 der Frank-
furter Verfassung spricht dies ausdrücklich aus?”) und
37) $S 73, Abs. 1 der Verfassung spricht freilich nur von
Unverletzlichkeit des Kaisers und man könnte versucht sein,
auf Grund des $ 126 Ziff. a) positiv eine „Verantwortlichkeit“