Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

58 II. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland. 
worden. als der Staat Friedrich’s des Grossen. Ihm fehlte es, als der 
grosse König starb, nicht nur an bleibenden Institutionen , sondern 
auch an leitenden Staatsmännern. Inder Zeit vom Tode Friedrich’s 
des Grossen bis zum Zusammenbruche des Staates im Jahre 1806 
zeigten sich Schwanken und Rathlosigkeit in der äussern Politik, 
Unproduktivität und Rückschritt in der innern staatlichen Entwicke- 
lung. Das alte Preussen musste erst äusserlich zusammenbrechen, 
ehe es innerlich seine staatliche Auferstehung und \Wiedergeburt 
vollziehen konnte. In der Zeit der schwersten Niederlagen wurde 
der Freiherr vom Steiu der Regenerator, der Neugründer des 
preussischen Staates auf deutscher und freiheitlicher Grundlage '. 
Mit seinem Eintritt in das preussische Ministerium am 30. Septem- 
ber 1807 beginnt eine neue Aera des preussischen Staatswesens und 
seines ganzen Öffentlichen Rechtes. Gleich in seiner Denkschrift 
vom Oktober 1807 hebter die leitenden staatlichen Grundsätze seiner 
Reformen hervor. welche ebenso im Gegensatz zu dem altpreussi- 
schen Beamtenstaate, wie zu den Staatsanschauungen der französi- 
schen Revolution und zur Staatskunst der Rheinbundsstaaten stehen. 
Dem romanischen Staatsgedankeu setzte Stein ein wahrhaft deut- 
sches Staatswesen. als sein praktisches Ideal, entgegen, gegründet 
auf ein freies Bürgerthum, getragen durch die Selbstregierung der 
Gemeinden. Kreise und Provinzen, mit festem Rechtsschutze des 
Einzelnen, endlich vollendet durch die 'Theilnahme einer Volksver- 
tretung an den allgemeinen Staatsangelegenheiten. Seiner ganzen 
konservativ-liberalen Richtung gemäss begann er den staatlichen 
Neubau von unten, indem er zuerst in anspruchslosen Formen eine 
tiefgreifende sociale Umgestaltung vollzog. In den untern Kreisen 
des Staats- und Volkslebens bestand, wie fast überall in Deutsch- 
land bis zur französischen Itevolution, der ganze Druck persönlicher 
Unfreiheit mit starren Standesprivilegien. woran selbst die aufge- 
klärte Gesetzgebung des preussischen Landrechtes nicht zu rütteln 
gewagt hatte. Das berühmte Edikt vom 9. Oktober 15807 that den 
ersten Schritt zur Befreiung des Bauernstandes und des Grund- 
eigenthums, zur Aufhebung des kastenmässigen Ständeunterschiedes, 
zur Vernichtung zeitwidriger Adelsprivilegien. zur Herstellung eines 
gleichberechtigten Staatsbürgerthums. Mit dem Martinitage 1810 
! Die Hauptquelle für die Staatsentwickelung dieser Zeit hietet »Das Leben 
des Ministers von Stein« von Pertz. b Bde. Berlin 1849 ff., auch die Denk- 
schriften des Frhrn. v. Stein von Pertz. Berlin 1549. L. v. Ranke, Denk- 
würdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten v. Hardenberg. 5 Bde. Leipzig 1377.
	        
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