Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Der deutsche Bund und die deutschen Einzelstaaten von 1915—1566. 101 
zeichneten Bundeszwecke bestimmt. Da die volle Souveränetät der 
einzelnen Bundesstaaten der Bundesakte zu Grunde gelegt war. so 
lag der Regel nach jede Einmischung der Bundesversammlung in 
die innern administrativen Verhältnisse derselben ausserhalb der 
Grenzen ihrer Kompetenz. »Da aber die Bundesglieder sich in dem 
zweiten Abschnitt der Bundesakte über einige besondere Be- 
stimmungen vereinigt hatten, welche sich theils auf Gewährleistung 
zugesicherter Rechte, theils auf bestimmte Verhältnisse der Unter- 
thanen bezogen. so lag der Bundesversainmlung ob, die Erfüllung 
der durch diese Bestimmungen übernommenen Verbindlichkeiten. 
wenn sich aus hinreichend begründeten Anzeigen der Betleiligten 
ergab, dass solche nicht stattgefunden habe, zu bewirken. Die An- 
wendung der in Gemässheit dieser Verbindlichkeiten getroffenen 
allgemeinen Verordnungen auf die einzelnen Fälle blieb jedoch den 
Regierungen allein überlassen« (WSchA. A. 53). 
Die verfassungsmässig zu Stande gekommenen Bundesbe- 
schlüsse verpflichteten sowohl den Bund als solchen, wie auch die 
einzelnen Bundesglieder unmittelbar, ohne dass es für sie noch 
einer besondern Insinuation oder Publikation bedurft hätte. 
Jede »Bundesregierung« hatte darauf zu halten, dass die Bun- 
desbeschlüsse in ihrem Gebiete zur Vollziehung kämen (WSchA. 
A. 32). Da aber der deutsche Bund, als blos völkerrechtlicher Ver- 
ein, keine unmittelbare Einwirkung auf die einzelnen Staa- 
ten, besonders aber keine gesetzgebende Gewalt für ganz Deutsch- 
land hatte, so konnten die Bundesbeschlüsse an und für sich für 
die Unterthanen der einzelnen Bundesstaaten keine bindende Kraft 
haben, sondern nur insoweit sie in die Landesgesetzgebung aufge- 
nommen waren; sie erhielten in den einzelnen Bundesstaaten nur in 
der Bedeutung verbindliche Kraft, welche ihnen auf dem Wege der 
Landesgesetzgebung beigelegt war. In mehreren Verfassungen war 
ausdrücklich ausgesprochen, dass Bundesbeschlüsse kraft derlandes- 
herrlichen Publikation verbindliche Kraft für das betreffende Land er- 
halten sollten. Wodiesnicht der Fall war, war es eine konstitutionelle 
Streitfrage, ob ein Bundesbeschluss, welcher in die Verfassung und 
Gesetzgebung der Einzelstaaten eingriff, ohne ständische Zustim- 
mung, durch einseitige landesherrliche Publikation, volle Gesetzex- 
kraft erhalte. Wo es sich dagegen um bundesrechtlich festgestellte 
Leistungen aller Bundesglieder für Bundeszwecke handelte, hatte 
die Regierung zwar für Aufbringung der Mittel formell den ver- 
fassungsmässigen Weg einzuschlagen, allein materiell war die
	        
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