110 II. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland.
Grade gefährdet war. Ausserdem wurden gegen die Presse, besun-
ders gegen (das Zeitungswesen, gegen die Oeffentlichkeit der Ge-
richts- und Kammerverhandlungen wohlgezielte Schläge geführt.
Nicht alle Festsetzungen dieser Wiener Ministerialkonferenzen
wurden zu Bundesbeschlüssen erhoben, aber sämmtliche Regierun-
gen machten sich anheischig, »sich durch diese Artikel, als das
Resultat dieser Vereinbarung zwischen Bundesgliedern, ebenso für
gebunden zu erachten, als wenn dieselben zu förmlichen Bundes-
beschlüssen erhoben worden wären«.
Fast noch mehr als durch diese unterdrückende Polizeithätigkeit
entfremdete sich der Bund die öffentliche Meinung durch seine
Unthätigkeit, wo es galt, die Interessen der Nation nach aussen
und innen mit kräftiger IIland zu vertreten. Für Handel, Ver-
kehr. Schifffahrt und andere gemeinnützige Anordnungen geschah.
trotz A. 19 der Bundesakte. von Bundeswegen nichts. Die grosse
nationale That des deutschen Zollvereins ging nicht vom Bunde
aus. In Luxemburg verstand er nicht einmal die Integrität
seines Gebietes zu vertheidigen und musste sich schliesslich mit
einer rein nominellen Entschädigung durch Limburg begnügen.
Den letzten Rest von Vertrauen verscherzte der Bund durch sein
Benehmen in der Verfassungsangelegenheit von IIannover!. wo
König Ernst August, völlig einseitig und mit Umgehung aller
Rechtsformen , durch einfache Ordonnanz vom 1. November 1837
die gauze, ın anerkannter Wirksamkeit bestehende, von seinem
Vorgänger Wilhelm IV gegebene Verfassung über den Haufen warf.
Selbst gegen diesen offenbaren Rechtsbruch, welchen die deutsche
Rechtswissenschaft und das gesammte Bewusstsein desdeutschenVol-
kes verurtheilte. versagte der Bund dem hannöverschen Volke durch
seine Inkompetenzerkläruug vom 5. September 1539 seine Hülfe, »da
bei der obwaltenden Sachlage eine bundesgesetzlich begründete
Veranlassung zur Einwirkung in diese innere Angelegenheit nicht
bestehe«e. Der Aufschwung des deutschen Nationalgefühles im
' Hauptquelle für diese hannoversche Verfassungsfrage ist: Hannover'sche:
Portfolio, Sammlung von Aktenstücken zur Geschichte des hannoverschen Ver-
fassung.:kampfes, 3 Bde. Stuttg. 1839. Die Protokolle der Sitzungen der Bun-
desversammlung von 1838 und 1839 in der hannoverschen Sache giebt v. Wan-
genheim, Vreikönigsbündniss 8. 257— 145. Ueber dieRechtsfrage vergl.
bes. die ausführlichen Gutachten der Juristenfakultäten zu Heidelberg, Jena
und Tübingen, herausgegeben von Dahlmann, und die hannoverschen Ver-
fassungsfragen von Reyscher, Zeitschr. für deutsches Recht. B. II. 1. Heft.
S. 176.