3. Der deutsche Bund und die deutschen Einzelstaaten von 1815— 1866. 11
starren mittelalterigen Zuständen herausgetreten, wie sie der Erb-
vergleich vom 18. April 1755 fixirt hatte. Mecklenburgs durch und
durch feudale Staatsordnung fand verwandte Verfassungszustände
in dem industriereichen Königreiche Sachsen, welches unter Fried-
rich August’s 59jähriger Regierung in einem fast beispiellosen Still-
stande verharıt hatte!. In beiden Ländern hatte sich die alte stän-
diische Verfassung mit ihrer ganzen Ausschliesslichkeit und Schwer-
fälligkeit, selbst die Rheinbundszeit hindurch, erhalten.
Den Üebergang von dieser norddeutschen zur süddeutschen
Staatengruppe bilden die sächsisch-ernestinischen Län-
der Thüringens, wo in kleinemj Kreise Weimars Grossherzog,
Karl August, als Vorbild auch in politischer und patriotischer
beziehung dastand ?2). Unter dem Drucke der Rheinbundszeit, wo
andere Fürsten ıhre neuerworbene Souveränetät benutzten, um ıhre
Landesverfassungen zu beseitigen, legte er 1809 seinen vereinigten
Ständen einen Verfassungsentwurf vor, welcher die weise Mitte hielt
zwischen den altständischen und neurepräsentativen Verfassungen,
dabei aber alle wesentlichen konstitutionellen Rechte und Bürg-
schaften nebst voller Pressfreiheit gewährte. Dieser Entwurf wurde
mit einigen Modifikationen am 5. Mai 1816 zum »Grundgesetze über
die landständische Verfassung des Grossherzogthums« erhoben.
Wohl konnte man mit Recht von der weimarischen Verfassung sagen,
(lass sie nur vals eine zeitgemässe Fortbildung des überlieferten Be-
standes zu betrachten sei. Das von Karl’ August gegebene Beispiel
wirkte unverkennbar auf die benachbarten sächsich-ernestinischen
Länder ein, besonders zeigte das Grundgesetz von Hildburghausen
vom 19. März 1818, das von Meiningen vom 23. August 1829 den
starken Einfluss des weimarischen Vorbildes. Viel tiefgreifender
waren dagegen die Umgestaltungen ın Süddeutschland, wo durch
ı Pölitz, Die Geschichte Friedrich August’s, Königs von Sachsen. 2 Bde.
1830. H. Blümner, Land- und Ausschusstagsordnung des Königreichs Sachsen
vom Jahre 1728 und allgemeine Kreistagsordnung vom Jahre 1821. Leipzig 1822.
Noch im sächsischen Staatsrechte von Weisse aus dem Jahre 1821 stellt sich
der ganze veraltete Verfassungszustand als praktisch geltendesRecht dar. Mohl,
Geschichte und Literatur der Staatsv. B. II. S. 363.
2 Johann August Droysen, Karl August und die deutsche Politik. Jena
1657. Xaver Wegele, Grossherzog von Sachsen- Weimar, Leipzig 1850.
Schweitzer, Oeffentl. Recht des Grossherz. Sachsen-Weimar 8. 29. Der
Verfassungsentwurf war redigirt von Prof. Schweitzer, nachm. weimarischem
Staatsminister. Theod. Martin, Das weimarische Verfassungsbüchlein. Wei-
mar 1876.
H. Schulze Deutsches Staatsrecht. &