Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Der deutsche Bund und die deutschen Finzelstaaten von 1815—1866. 117 
Bestimmungen aus«. Nirgends findet sich eine Spur von den prak- 
tischen oder theoretischen Folgerungen der Volkssouveränetät. In 
allen vier Verfassungsurkunden wird den in Süddeutschland beson- 
ders zu berücksichtigenden aristokratischen, standes- und grund- 
herrlichen Elementen durch das Zweikammersystem ın ausgiebiger 
\Weise Rechnung getragen. Den Volksvertretungen ist in den wich- 
tigsten Staatsangelegenheiten eine entscheidende Stimme einge- 
räumt und die Grundrechte der Bürger sind, wenn auch nur in den 
Hauptpunkten, festgestellt. Jedenfalls liegt in diesen Verfassungen 
ein durchaus gesunder Fortschritt unserer staatsrechtlichen Ent- 
wickelung. Ihre Lebenskraft haben sie dadurch bewiesen, dass sie 
trotz aller Stürme bis auf den heutigen Tag unverändert in Kraft 
geblieben sind. Dass sie vielleicht hier und da weniger Frucht ge- 
tragen haben, als man von ihnen erwartete, lag weniger in ihnen 
selbst, als in der Mangelhaftigkeit der damaligen deutschen Ge- 
sammtzustände und dem bleiernen Drucke einer verfassungsfeind- 
lichen Reaktion, welche, unter Metternich’s allbeherrschendem Ein- 
flusse, von Bundeswegen geübt wurde. Eine gesunde Entwickelung 
der Einzelstaaten ist überhaupt in Deutschland nur möglich unter 
der Aegide einer Gresammtverfassung, welche Volks- und Fürsten- 
recht mit gleicher Wage wägt und mit gleich kräftiger Hand gegen 
jede Verletzung schützt. 
d 39. 
Eintritt der norddeutschen Mittelstaaten in die konstitutionelle 
Staatsordnung. 
Unter dem Einflusse der Karlsbader Konferenzen und der Wie- 
ner Schlussakte gerieth seit den zwanziger Jahren die Verfassungs- 
entwickelung der einzelnen deutschen Staaten in einen völligen 
Stillstand, welcher bis zum Ausbruche der französischen Juli- 
Revolution im Jahre 1830 dauerte. Diese gab dem öffentlichen 
Leben in Deutschland einen neuen Anstoss, wenn auch die Schwin- 
gungen dieser grossen Bewegung auf die verschiedenen Staaten sehr 
verschieden einwirkten. Kaum merklich war ihr Einfluss auf die 
beiden östlichen Grossmächte mit ihrer machtvollen Regie- 
rungsgewalt. Ebensowenig übte sie einen umgestaltenden Einfluss 
auf diejenigen Staaten, wo bereits die wesentlichen Anforderungen 
der konstitutionellen Staatsordnung durch eine Verfassungsurkunde 
verwirklicht waren. '[ief eingreifend wirkte diese ganz Europa durch- 
zuckende Bewegung nur auf diejenigen mittlern und kleinern Staa-
	        
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