Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Der deutsche Bund und die deutschen Einzelstaaten von 1815— 1866. 121 
zunehmen. Auf das staatliche Leben hatten sie nicht den geringsten 
Einfluss. Im übrigen waren die deutschen Provinzen so eng mit deu 
ausserdeutschen verbunden, dass Oesterreich mehr wie ein fremd- 
artiger Staatenkomplex, als wie ein deutsches Land erschien. \We- 
nigstens konnte von einem gegenseitigen Einflusse der deutschen 
und der österreichischen Staatsentwickelung keine Rede sein; beide 
bewegten sich in ihren eigenen Bahnen. 
In Preussen hatte die tief eingreifende Stein-Hardenbergische 
Gesetzgebung in der Befreiung des Bauernstandes, der Belebung 
des städtischen Gemeinwesens, der Ilerstellung der staatsbürger- 
lichen Gleichheit ein Fundament gelegt, auf welchem nach der An- 
sicht der grossen Staatsmänner jener Zeit sich der erhabene Bau 
einer Reichsverfassung erheben sollte. Noch auf dem Wiener Kon- 
gresse hatte Preussen die verfassungsmässigen Rechte des Volkes 
und landständische Institutionen in freisinnigster Weise vertreten, 
am 22. Mai 1815 hatte der König »eine Repräsentation des Volkes 
und eine schriftliche Urkunde als Verfassung des Reiches« ver- 
heissen, noch am 17. Januar 1820 eine »reichsständische 
Versammlung« in Aussicht gestellt, allein nach langem IHlin- 
und Herschwanken siegte endlich die bureaukratisch-absolutistische 
Richtung über die grossen Ideen der Freiheitskriege, deren letzte 
Vertreter aus dem Ministerium entfernt wurden. Die österreichi- 
schen Einwirkungen trieben zu den provincialständischen 
Institutionen von 1823 und 1824, welche, ın ihrer Zusammen- 
setzung auf ein schon damals überlebtes Ständethum gebaut, ohne 
alle ernste staatsrechtliche Befugnisse, nimmer das leisten konnten. 
was einst Stein mit einer preussischen Reichsverfassung bezweckt 
hatte. dem losen und neu zusammengefügten preussischen Staate 
einen erhöhten staatlichen Gemeingeist und damit die geistige 
Führerschaft in der staatlichen Entwickelung Deutschlands zu geben. 
Gewiss ist es zu beklagen, dass man es damals unterliess, mit Er- 
theilung einer allgemeinen preussischen Staatsverfassung ent- 
schlossen vorzugehen. dass man dem Volke noch auf ein Menschen- 
alter alle aktive Theilnahme an den Staatsangelegenheiten versagte ; 
gewiss hat sich diese Zaghaftigkeit in den unreifen Ausbrüchen und 
Staatsexperimenten von 1848 schwer gerächt, aber dennoch istes un- 
billig, wenn man die Regierungszeit König Friedrich Wilhelm’s III. 
als eine unfruchtbare. als ein Vacuum in der staatlichen Entwicke- 
lung Preussens ansieht; vielmehr ist gerade das Vierteljahrhundert 
seiner Regierung von 1815 — 1840 auf dem Gebiete der gesammten
	        
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