128 II. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland.
ler Reichsverweser, soviel wie thunlich, sich mit den Bevollmäch-
tigten der Einzelstaaten ins Vernehmen setzen. Am 29. Juni wählte
die Nationalversammlung den Erzherzog Johann von Oesterreich
zum Reichsverweser. An demselben Tage erliess die Bundesver-
sammlung ein Schreiben an den Erzherzog mit der Erklärung: »sie
sei schon vor seiner Wahl von den Regierungen ermächtigt ge-
wesen, sich für dieselbe zu erklären«e. Am 5. Juli nahm der Eız-
herzog dıe Wahl an, am 12. Juli erschien er in Frankfurt und begab
sich erst in die Nationalversammlung, dann in die Bundesversamm-
lung. Letztere überreichte dem Reichsverweser eine Adresse, worin
sie aussprach: »dass sie Namens der deutschen Regierungen die
Ausübung ihrer verfassungsmässigen Befugnisse und Verpflich-
tungen auf die provisorische Centralgewalt übertrage und dieselbe
in die Hände des deutschen Reichsverwesers lege« (Weil S. 120).
Hiermit erklärte die Bundesversammlung ihre bisherige Thätigkeit
für beendigt. Mit dem 12. Juli 1848 hatte somit zwar nicht der
Bund, wohl aber die Bundesversammlung thatsächlich und
rechtlich zu existiren aufgehört.
Als die Nationalversammlung zu ihrer eigentlichen Aufgabe, der
Verfassungsberathung, schritt, zeigte sich in ihrem Schoosse die
grösste Verschiedenheit der Ansichten in Betreff der neu zu begrün-
denden Reichsverfassung. Besondere Schwierigkeiten machte dabei
die Oberhauptsfrageund die Frage nach der Stellung des österrei-
chischen Kaiserstaates zu der künftigen deutschen Reichsverfassung.
Man begab sıch daher zunächst auf den mehr neutralen Boden der
sog. Grundrechte, deren langwierige Berathung Kraft und An-
sehen der Nationalversammlung in fruchtlosen theoretischen Er-
örterungen verzehrte. Obgleich die Grundrechte nur einen '[heil
der Reichsverfassung bilden sollten, so wurden sie doch bereits am
27. December 1848 von dem Reıchsverweser, mit einem Eınfüh-
rungsgesetz für den ganzen Umfang des deutschen Reiches. unter
zeitweiliger Sistirung einzelner Paragraphen, als Gesetz verkündigt;
doch hielten sich die grösseren Staaten keineswegs durch die Publi-
kation der Grundrechte von Seiten des Reichsverwesers für gebun-
dien, sie bei sich als Gesetz zu verkündigen, am wenigsten wurde es
so angesehen, dass sie auch ohnedem praktisches Recht in den ein-
zelnen Staaten wären. Nurin den kleineren Staaten fügte man sich
der Auffassung der Nationalversammlung von der unmittelbar und
allgemein verbindlichen Kraft ihrer Beschlüsse.
Am 19. Oktober begann die erste Lesung der übrigen Theile