Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

164 Il. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland. 
zunehmen«. Am 17. April wurde der erste Reichstag des norddeut- 
schen Bundes geschlossen. 
$ 74. 
Staatsrechtlicher Abschluss der norddeutschen Bundesverfassung!. 
Hatten somit der Reichstag und sämmtliche Regierungen der 
verbündeten Einzelstaaten ihre Zustimmung zu dem Verfassungs- 
entwurfe mit den vom Reichstag angenommenen Veränderungen 
erklärt, so war damit doch der norddeutsche Bund noch nicht ins 
Leben getreten. Die verbündeten Regierungen waren ihren im 
Augustbündniss übernommenen Verpflichtungen nachgekommen, 
indem sie Wahlen zum Reichstag ausgeschrieben, die Konferenzen 
zur Feststellung eines Verfassungsentwurfes besucht und sich an 
der Einberufung eines l’arlamentes und der Vorlegung des Verfas- 
sungsentwurfes an dasselbe betheiligt, die Beschlüsse dieses Parla- 
mentesangenommen und so ein volles Einverständniss mit demselben 
erzielt hatten. 'Irotzdem blieb auch nach dem 16. Aprıl 1867 das 
Verhältniss der verbündeten Staaten zu einander ein rein völker- 
rechtliches. Nach dem definitiven Wahlgesetze vom 15. Oktober 
1856 hatte der Reichstag nur eine berathende Stimme bei der 
Feststellung der Bundesverfassung; dagegen war die Zustimmung 
sämmtlicher Landtage der Einzelstaaten erforderlich, weil durch 
den Eintritt in den neu zu begründenden norddeutschen Bund die 
Verfassung jedes Einzelstaates wesentlich verändert und jedem 
Staate, wie seinen Angehörigen, bedeutende finanzielle Lasten auf- 
erlegt wurden. Durch eine Verordnung vom 18. Aprıl wurde der 
preussische Landtag auf den 29. April einberufen und an diesem 
Tage eröffnet. Am 1. Maı wurde zuerst dem Abgeordnetenhause 
die Verfassung des norddeutschen Bundes vorgelegt und am 8. Maı 
mit 226 gegen 91 Stimmen angenommen. Als ein verfassungs- 
änderndes Gesetz verlangte diese Vorlage noch eine zweite Abstim- 
mung nach dem Ablaufe von wenigstens 21 Tagen, sie erfolgte am 
21. Mai mit 227 gegen 93 Stimmen. Im Herrenhause wurde die 
Vorlage in beiden Abstimmungen am I. und 24. Juni einstimmig 
angenommen. Auch in sämmtlichen übrigen verbündeten Staaten 
ertheilten die lLandtage, beziehungsweise Bürgerschaften ihre ver- 
I ie hier einschlagenden rechtlichen Fragen sind eingehend und scharf- 
sinnig erörtert von Paul Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches. B. 1. 
Tübingen 1876 in $ 2 »Gründung des norddeutschen Bundes« S. 9—34 und von 
A. Hänel, Studien zum deutschen Staatsrechte I. Die vertragsmässigen Ele- 
mente der deutschen Reichsverfassung. Leipzig 1873.
	        
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