Einleitung. 7
staaten stets zu einem höhern staatlichen Gesammtverbande gehört
haben und noch gehören, von welchem solche gemeinverbindliche
Normen ausgegangen sind. Solche Bestimmungen gingen zu Zeiten
des ältern deutschen Reiches von der Reichsgesetzgebung aus. Zu
Zeiten des deutschen Bundes gab es, allerdings streng genommen,
keine gesetzgebende Gewalt für ganz Deutschland, virtuell hatten
aber die Grundverträge des deutschen Bundes, sowie zahlreiche
Bundesbeschlüsse, eine gleichwerthige Bedeutung. Durch die
Gründung des neuen deutschen Reiches ist aber in der Reichsge-
walt eine oberste Gesetzgebung gegeben, welcher alle Einzelstaaten
unbedingt unterworfen sind; sie schafft nicht subsidiäres, sondern
absolutes gemeines Recht. Dadurch sind die Staatsrechte
sämmtlicher Einzelstaaten wesentlich verändert und vielfach in
ihren Grundzügen gleichmässig neu bestimmt; ja, der deutsche
Einzelstaat ist seit Gründung des norddeutschen Bundes, später des
deutschen Reiches, begrifflich ein ganz anderes staatsrechtliches
Wesen geworden, als er bis dahin war. Diese durch die Reichsge-
setzgebung gegebenen gemeinrechtlichen Grundlagen sind bei der
Darstellung des deutschen Landesstaatsrechtes zu beachten und
hervorzuheben. "Trotzdem ist ein System desgemeinen deutschen
Landesstaatsrechtes nicht durchführbar, weil der grösste 'Theil des
Landesstaatsrechtes einen partikularrechtlichen Charakter hat, wel-
cher nicht willkürlich verallgemeinert werden darf. Während die
lwehre des deutschen Reichsstaatsrechtes auf Darstellung unmittel-
bar geltender praktischer Rechtssätze gerichtet ist, kann die Di-
sciplin des deutschen Landesstaatsrechtes nur eine wissenschaftliche,
theoretische Bedeutung in Anspruch nehmen, indem sie einerseits
lem Gesammtrechtsbewusstsein der deutschen Nation auch auf
ddem staatlichen Gebiete wissenschaftlich Rechnung trägt, andrer-
seits dem Studium des Partikularstaatsrechtes allein ein tieferes
Verständniss eröffnet, dasselbe vergeistigt und mit den leitenden
juristischen Grundgedanken in wissenschaftliche Verbindung setzt.
Trotz ihres engen Zusammenhanges und ihrer fortwährenden
Wechselwirkung dürfen daher Reichsstaatsrecht und Landesstaats-
recht nicht als gleichartig zu behandelnde Stoffe angesehen werden,
sondern müssen nach ganz verschiedener Methode juristisch kon-
struirt und auseinander gehalten werden.