Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

222 l. Das Landesstaatsrecht. 
entschieden allen europäischen Fürstenhäusern ebenbürtig. Auch neue 
zum Thron gelangte Familien, wie die Häuser Bonaparte und Bernadotte, 
werden als vollständig ebenbürtig betrachtet. Ja, die Souveränetät wird 
als so hervorragendes Recht angesehen , dass man selbst ıhren früheren, 
wenn auch wieder verloren gegangenen Besitz als Grund betrachtet, einer 
Familie die Ebenbürtigkeit zu belassen. Unzweifelhaft ist die Ebenbür- 
tigkeit der 1866 in Deutschland depossedirten Fürstenhäuser. Dagegen 
können Ehen mit auswärtigen, selbst hochtitulirten Unterthanenfamilien 
nicht ohne weiteres als ebenbürtig gelten; selbst die staatsrechtlich so 
hochstehende, durch Ansehen und Reichthum ausgezeichnete englische 
Nobility wird den deutschen regierenden Häusern eherechtlich nicht gleich- 
gestellt (z. B. morganatische Ehe des Prinzen Eduard von Sachsen- 
Weimar mit Lady Auguste Gordon-Lennox, Tochter des Herzogs v. Rich- 
mond 1851). Bei den auswärtigen nicht souveränen Familien wird 
alles darauf ankommen, ob eine Familie die Stellung eines herrschenden, 
über dem niedern Adel nach Abstammung und Herrschaftsrechten erha- 
benen Geschlechtes einnimmt, ob sie ein Analogon von Landeshoheit 
besitzt oder wenigstens bis in die neuere Zeit besessen hat. Die wich- 
tigste Schrift über diesen schwierigen Punkt ist die nur in wenigen me- 
tallographirten Exemplaren vorhandene Abhandlung K. Fr. Eichhorn’s: 
»Das Verhältniss des hochfürstlichen Radziwill’schen Hauses zu den Für- 
stenhäusern Deutschlands aus dem Standpunkte der Geschichte und des 
deutschen Staats- und Fürstenrechtes erörtert, mit Urkundenbuch «. 
Eichhorn erklärt, dass bei der Beurtheilung derartiger Ehen folgende 
Momente in Betracht kommen : a) Abkunft von einem eigentlichen Herren- 
geschlecht des Mittelalters, b) Besitz einer Territorialhoheit von einem 
solchen Umfange, wie er nach den Begriffen der frühern Zeit zum Cha- 
rakter des Herrenstandes gehörte, wenn er bis in die neuere Zeit fortge- 
dauert hat, c) fortdauernde Anerkennung einer Standesgenossenschaft 
durch Verbindung mit solchen regierenden Familien, welche hausgesetz- 
lich oder observanzmässig nur Verbindungen mit dem hohen Adel für 
ebenbürtig halten«. Diese Voraussetzungen findet er beim Hause Ra- 
dziwill vor; sie würden sich theilweise auch bei andern nicht regieren- 
den Familien nachweisen lassen, so z. B. bei dem herzoglichen Hause 
Biron, wegen seiner bis 1795 besessenen sog. Halbsouveränetät über ein 
ganzes Land, das Herzogthum Curland. 
Das so festgestellte Ebenbürtigkeitsprincip des gemeinen deutschen 
Fürstenrechts hat aber nicht den Charakter eines absoluten Rechts; viel- 
mehr kann jedes Fürstenhaus ein anderes Ebenbürtigkeitsprineip durch 
Observanz oder Hausgesetz feststellen, wodurch das gemeinrechtliche 
Prineip modificirt, besonders weniger streng fixirt wird. Für die alt- 
weltlichen Fürstenhäuser, in denen sich das Standesbewusstsein 
des hohen Adels von jeher am bestimmtesten ausgesprochen hat, dürfte 
sich eine abweichende Observanz indessen wohl nur selten nachweisen 
lassen. Unzweifelhaft gelten jetzt die hergebrachten strengen Grundsätze 
in den altfürstlichen Häusern Oesterreich, Preussen, Bayern, in allen 
Linien des Hauses Sachsen, in Braunschweig, \Vürttemberg, Hessen, 
Baden, Mecklenburg und Anhalt. Das einzige altfürstliche Haus, wo
	        
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