226 I. Das Landesstaatsrecht.
lich zur Negation jeder Missheirath. Der Verfasser hat sich stets zu der
strengern Theorie, mit der ihr durch Eichhorn gegebenen Modifikation,
bekannt, so weit er als Schriftsteller oder Konsulent das positiv geltende
Recht zu vertreten hatte. Eine langjährige praktische Erfahrung hat ihn
aber zu der Ansicht gebracht, dass, wo es sich de lege ferenda handelt, die
Beseitigung dieses noch bestehenden Grundsatzes anzustreben und der
Begriff der Missheirath auch aus dem deutschen Fürstenrechte zu entfer-
nen ist, wie er den andern regierenden Häusern Europas (mit Ausnahme
des Kaiserl. Russischen seit dem Hausgesetze am 20. März 1820) unbe-
kannt ist, und zwar aus folgenden Gründen : a) Derselbe steht im Wider-
spruch mit dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart. Entstanden in einer
Zeit, wo ein grosser 'Theil des Volkes unfrei oder leibeigen war, schliesst
er jetzt die Fürstenhäuser von allen übrigen Klassen des Volkes ab,
macht vielen Mitgliedern derselben jede Eheschliessung überhaupt un-
möglich und verletzt unnöthigerweise das Ehrgefühl eines zum Selbstbe-
wusstsein erwachten Volkes. b) Trotz aller Bemühungen der Theorie
wird es nie gelingen, scharfe Grenzen der Ebenbürtigkeit zu ziehen und
so darf diese Lehre des Fürstenrechtes als die bestrittenste und unsicherste
betrachtet werden ; daher die zahllosen Streitigkeiten, welche nicht nur
das Lebensglück einzelner Individuen, sondern auch den Frieden ganzer
Familien untergrabenhaben. c) Der überall einzuführende Grundsatz, dass
zu jeder einzugehenden Ehe die Zustimmung des Familienoberhauptes er-
forderlich ist, genügt vollständig, um die Würde und das Ansehen des
regierenden Hauses gegen unpassende oder politisch bedenkliche Ehe-
schliessungen zu wahren. Nur muss den Gliedern des Hauses eine Ga-
rantie gegen die immerhin mögliche Willkür des Familienchefs bei
Versagung des Ehekonsenses durch Emichtung einer Berufungsinstanz
gegeben werden, wie dies die englische Royal Marriage Act von 1772 und
mehrere neuere deutsche Hausgesetze thun.
97,
e) Religion ana weltlicher Stand.
Schon nach älterem Reichsrechte konnte jemand, seiner Kon-
fession halber, wider seinen Willen und ohne durch einen rechts-
kräftigen Vertrag dazu verbunden zu sein, von der Thronfolge nicht
ausgeschlossen werden’; vorausgesetzt nur, dass er einer der im
Reiche anerkannnte Kirchen angehörte. Auch der Uebertritt von
einer «dieser Konfessionen zur andern konnte einem Prinzen in sei-
nem Successionsrecht keinen Eintrag thun. Dieser Satz findet im
Rechtsbewusstsein der Gegenwart, wie im neuern Reichsrechte seine
volle Bestätigung.
Zur Successionsfäbigkeit in den Kurfürstenthümern verlangte
1J. J. Moser, Familienstaatsr. B. I. S. 33. 50. % 16. Leist, Staatsr.
$ 35. Gönner, Jwistische Abhandl. B. I. Nr. 1.