Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

I, Von dem Staatsoberhaupte oder dem Monarchen. 2355 
welches nicht, oder wenigstens noch nicht fähig ist, die Regenten- 
pflichten zu erfüllen. Wo desshalb keine Ausschliessung eines sol- 
chen Individuums stattfindet, muss eine gesetzliche Vertretung aus 
eigenem Rechte eintreten, völlig unabhängig von dem Regierungs- 
unfähigen, welcher ja auch nicht fähig ist, selbst für eine Vertretung 
seiner Person zu sorgen. Da das auf den Ihron berufene, zur Re- 
gierung eigentlich berechtigte Subjekt seinen Beruf nicht erfüllen 
kann, so bedarf der Staat eines interimistischen Oberhaup- 
tes. Es tritt also der Fall ein, dass die volle Ausübung des 
monarchischen Rechtes von dem nicht aufgehobenen, aber 
einstweillen ruhenden Rechte des Monarchen getrennt wird. 
Die Unfähigkeit des Mittelalters, privatrechtliche und staats- 
rechtliche Verhältnisse scharf auseinanderzuhalten, zeigt sich auf 
diesem Gebiete in besonders auffallender Weise. Wie man den Be- 
griff der Staatssuccession durch die Einmischung privatrecht- 
licher Erbgrundsätze verlor, so legte man hier die Prinzipien der 
Vormundschaft zu Grunde. Hier wie dort wurde ein allerdings 
analoges Verhältniss des Privatrechtes als leitendes Princip eines 
öffentlich-rechtlichen Institus angewendet. DieBevormundung, 
welche ein minderjähriger Fürst ebensowenig entbehren kann, wie 
eine Privatperson, wurde auch auf seine landesherrliche Stellung 
übertragen und derjenige, welcher ihn als Landesherrn vertrat, 
lediglich als Vormund betrachtet. Man legte den Schwerpunkt 
auf das Recht des zu bevormundenden Fürsten, nicht auf die Noth- 
wendigkeit, dass das Land jeder Zeit eines regierungsfähigen Herr- 
schers bedarf. Man zog daher lehenrechtliche Grundsätze, das 
deutsch-rechtliche Mundium und die römischen Institute der Tutela 
und Cura in der ungehörigsten Weise herbei und behandelte die 
Bevormundung des unmündigen Fürsten in Bezug auf seine privat- 
rechtlichen Verhältnisse nach ganz gleichen Grundsätzen, wie 
seine Vertretung als Landesherr. Erst in den letzten Reichszeiten 
gewann die staatsrechtliche Betrachtungsweise bei den bessern 
Reichspublieisten an Boden; doch zeigt sich auch bei ihnen immer 
noch eine grosse Unklarheit. Wie sich das Terntorialstaatsrecht zu 
Reichszeiten überhaupt nie vollständig von patrimonialen und pri- 
vatrechtlichen Zusätzen reinigte, so vollzog sich auch auf diesem 
Gebiete die volle Auseinandersetzung der disparaten Elemente erst 
in unserem Jahrhundert nach Auflösung des Reiches. Dies geschah 
tive zum Entwurfe des badischen Regentschaftsgesetzes. Beil. zu den stenogr. 
Prot. vom 30, Januar 1562, Nr. 142,
	        
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