358 I. Das Landesstaatsrecht.
cher Verhinderungsgrund schon beim Anfall der Krone vorhanden
war, oder erst während der Dauer der Regierung eintritt.
Wenn die Verfassungsurkunden, mit Ausnahme der bayeri-
schen, sich einer näheren Zeitbestimmung', so wie einer Aufzählung
der einzelnen Verhinderungsgründe enthalten haben, so ist es ihre
Hauptaufgabe, das Verfahren genau zu regeln. durch welches das
Vorhandensein eines Verhinderungsgrundes konstatirt, die Regent-
schaft beantragt und definitiv beschlossen werden soll. Am ein-
fachsten hegt die Sache. wenn sich bereits bei Lebzeiten des Mon-
archen beim Thronfolger ein derartiges Hinderniss gezeigt hat,
welches die Einsetzung einer Regentschaft nöthig macht und der
Monarch mit Einwilligung der Landstände durch ein Staatsgesetz
über den künftigen Eintritt der Regentschaft bestimmt hat. (Kö-
niglich Sächsische Verfassungsurkunde $ 10. Württemberg $ 13.
Koburg-Gotha $ 15. Kraut a.a. OÖ. B. III. S. 110). Wo eme
derartige vorsorgliche staatsgesetzliche Regelung nicht stattgefun-
den hat, macht das Verfahren viel grössere Schwierigkeiten. Vor
allem müssen für einen solchen Fall darüber genaue Bestimmungen
getroffen sein, wer das Recht beziehentlich die Pflicht habe, auf die
Anordnung einer Regentschaft anzutragen, und wer über den
Antrag definitiv zu entscheiden habe. Bald wird die Initiative
dem Staatsministerium, bald dem nächsten Agnaten, wie in Preussen.
beigelegt?, öfters wird auch emem aus Agnaten bestehenden Fa-
milienrathe eine Stimme eingeräumt, wobei indessen nach meh-
reren Verfassungen (Königlich sächsische $ 11, württembergische
$ 13. Koburg-Gotha $ 16, Oldenburg A. 23. $ 1) der zunächst
zur Regentschaft berufene Agnat ausgeschlossen wird. Nach
altem deutschen Herkommen, sowie nach den Grundsätzen der kon-
stitutionellen Staatsordnung können die Landstände, als Ver-
treter des bei Entscheidung der in Rede stehenden Frage im höchsten
Grade interessirten Landes, nicht umgangen werden; vielmehr ist
! Mehrere Verfassungen bestimmen nur ganz im allgemeinen, dass eine Re-
gentschaft eintreten soll, wenn der Monarch »auf längere Zeit« an der Aus-
übung der Regierung verhindert ist, z. B. die Königlich Sächsische $ 9; andere
Verfassungen verlangen zum Eintritt einer Regentschaft, dass der Monarch
»dauernd« verhindert sei. Preussische Verfassungsurkunde A. 56. Oldenburg
1852 A. 20. Waldeck 1852 $ 19. »Dauernd« kann aber auch nichts anderes be-
deuten als »längere Zeit«.
?2 Dem Staatsministerium giebt die Initiative die Königlich Sächsische $ 11.
Die Koburg-Gothaische $ 16 ihm oder dem Landtage, Oldenburg A. 23.$1; die
Württembergische $ 13 dem Geheimen Rathe, d. h. dem Staatsrathe.