262 I. Das Landesstaatsrecht.
Königin«, ohne Gewicht darauf zu legen, ob sie die Mutter des zu ver-
tretenden '[hronfolgers ist oder nicht. Im Falle aber auch in dieser
Kategorie niemand vorhanden sein sollte, welcher die Regentschaft
übernehmen könnte oder wollte, gelangen, nach dem badischen Re-
gentschaftsgesetzentwurfe von 1862, die eventuell zur Thronfolge
berufenen Kognaten zur Regentschaft und zwar in der Ordnung, in
welcher sie in die Krone zu succediren haben würden, wogegen die
bayerische Verfassung die Kronbeamten als letzte Klasse der re-
gentschaftsfähigen Personen nennt und dem Monarchen das Recht
cinräumt, einen derselben zum Regenten zu ernennen, und wenn
eine solche Bestimmung nicht vorliegt, sie an den ersten Kron-
beamten übergehen lässt.
Eine testamentarische Berufung zur Regentschaft, durch
einseitige letztwillige Verfügung des Monarchen, kennen die neuern
Verfassungen regelmässig nicht, dagegen legen sie im Geiste des
kKonstitutionellen Staatsrechts dem Monarchen das Recht bei, durch
ein Staatsgesetz eine Regentschaft für seinen regierungsun-
fähigen Nachfolger anzuordnen, jedoch in der Regel nur dann,
wenn es an einem regierungsfähigen, gesetzlich berufenen Regenten
fehlt. Wenn aber niemand vorhanden ist, welcher grundgesetzlich
oder durch eine derartige specielle verfassungsmässige Anordnung
zur Regentschaft berufen ist, so muss es als ein Recht der Landes-
vertretung gelten, in einem solchen Falle den Regenten zu wählen,
ohne dass sie dabei, wenn nicht wie z. B. in Braunschweig entge-
gengesetzte Bestimmungen bestehen, auf einen bestimmten Kreis
von wählbaren Personen beschränkt ıst. Es ist dies ein Recht,
welches die Landstände von jeher ın Deutschland geübt haben und
welches ihnen als Vertretern des Landes und Volkes, die in Er-
mangelung eines regierungsfähigen Monarchen als einziges staat-
liches Willensorgan dastehen, nicht entzogen werden darf. Der
Grundsatz der preussischen Verfassungsurkunde A. 57:
»Ist kein volljähriger Agnat vorhanden und nicht bereits ge-
setzliche Vorsorge für diesen Fall getroffen, so hat das Staatsmini-
sterıum dıe Kammern zu berufen, welche in vereinigter Sitzung einen
Regenten erwählen. Bis zum Antritt der Regentschaft von Seiten
desselben führt das Staatsministerium die Regierung «;
entspricht daher ebensowohl dem geschichtlich begründeten Rechte
deutscher Landesvertretungen, wie den Grundsätzen des konstitutio-
nellen Staatsrechts, und muss auch da als geltend angesehen werden,
wo er in einer Verfassung nicht ausdrücklich ausgesprochen ist.