1. Begriff des Staates. 19
Iın Stande ist, gewisse Kulturbedingungen herzustellen. Die Staats-
gewalt kommt immer mehr zur Einsicht, dass sie das Wohl des
Staates selbst fördert, wenn sie den Einzelnen in seinem Streben nach
materiellem Wohlstand und geistiger Bildung hülfreich die Hand
reicht. So wird dermittelalterige ausschliessliche Rechtsstaat zum
allumfassenden modernen Kulturstaate. Die Totalität des
Staatszweckes kommt zurallgemeinen Anerkennung. Anfangs ist der
so zum Bewusstsein seiner allgemeinen Kulturaufgabe gelangte Staat
zu Uebergriffen geneigt. Er macht die Aufgaben des Menschen-
lebens zu seinen eigenen, er will die Menschen sittlich und wohl-
habend machen, er wird zur Bevormundungsanstalt und vernichtet
damit die individuelle Freiheit seiner Bürger, sog. eudämonistischer
Polizeistaat der Aufklärungsperiode. Erst im modernen Ver-
fassungsstaate finden die beiden Richtungen ihre harmonische
Ausgleichung. Während die Herstellung der Rechtsordnung als
die erste, spezifische Mission des Staates festgehalten wird, kommt
auch seine Bedeutung, als Träger und Diener aller menschlichen
Kulturaufgaben, zur Anerkennung, aber mit der Beschränkung, dass
der Staat auf diesem Gebiete nicht die positive Erfüllung dieser
menschlichen Lebenszwecke übernehmen kann, sondern nur die
äussere Ordnung und dieindirekte Förderung, und zwar
auch nur soweit, als die in erster Linie eintretende Privatthätigkeit
nicht ausreicht. Mit dieser wohlverstandenen, immer mehr auch zu
Rechtssätzen ausgebildeten Beschränkung hält der moderne Staat
sein: »nihil humanum a me alienum esto« fest und macht ausser der
Rechtsordnung auch alle andern Aufgaben des Volkes zu seinen
Zwecken, soweit diese einer gemeinsamen Förderung bedürfen (To-
talität des Staatszweckes).
8 14.
Definition des Staates.
Diese wesentlichen Merkmale fassen wir folgendermassen zu
einer Definition zusammen: Der Staat ist die Vereinigung
eines sesshaften Volkes zu einer Gesammtpersön-
lichkeit, unter einer höchsten Gewalt und einer
bestimmten Verfassung, zur Verwirklichung aller
Gemeinzwecke, vorallem zur Herstellung der Rechts-
ordnung.
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