3936 I. Das Landesstaatsrecht.
noch so unverständigen Zweifel untergeordneter Beamter abhängig
machen. Auf der anderen Seite hat »jeder Beamte die Verpflichtung,
das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen
gemäss gewissenhaft wahrzunehmen«. (Reichsbeamtengesetz $ 10.
In jedem deutschen Staate wird jeder Beamte auf gewissenhafte
Beobachtung der Verfassung vereidigt. Wie soll er handeln,
wenn ihm ein formell durchaus korrekter Befehl zugeht, welcher
aber, nach seiner Ansicht, inhaltlich der Verfassung oder den Ge-
setzen widerspricht? Zunächst ist eine genaue, vorurtheilsfreie Pıü-
fung des ertheilten Befehles ernste Gewissenspflicht, wobei daran
festzuhalten ist, dass alle Anordnungen der vorgesetzten Behörden
die Vermutliung der Gesetzmässigkeit für sich haben. Bleibt er
aber nach einer solchen Prüfung bei der Ansicht, dass ihm etwas
Verfassungswidriges befohlen sei, so ist es seine Pflicht, soweit ihm
dazu Zeit gelassen wird, die höhere Stelle auf den Widerspruch der
fraglichen Verfügung mit der Verfassung aufmerksam zu machen,
eventuell mit diesem Zweifel bis an die höchste Stelle zu gehen.
Diese in einzelnen Verfassungen und Gesetzen ausdrücklich ent-
haltene Vorschrift halten wir deshalb für eine in der Natur der
Sache begründete, gemeingültige, weil der Beamte verpflichtet ist.
kein gesetzlich zulässiges Mittel unversucht zu lassen, um den ver-
meintlichen Konflikt zwischen dem Gesetze und dem angezweifel-
ten Befehle der vorgesetzten Behörde zum Austrag zu bringen.
(A.M. Laband, 8. 424.) Beharrt aber die Oberbehörde, trotz
aller vielleicht gegründeten Gegenvorstellungen, doch schliesslich
auf dem Befehl, so fällt die Verantwortlichkeit lediglich nur auf die
befehlende Oberbehörde, wenn der Beamte sich trotz widersprechen-
der Uceberzeugung fügt und den ihm ertheilten Befehl ausführt.
Der in verschiedenen deutschen Verfassungen und Staatsdiener-
gesetzen ausgesprochene Satz (Hannov. Staatsdienergesetz von 1833
$ 161. \Vürttemb. Verfassungsurkunde $ 53. Sachsen Meiningen
$ 104. Altenb. $ 37 u. s. w.): »dass in gehöriger Form er-
lassene Befehle vorgesetzter Behörden den gehorchen-
denBeamten vonder Verantwortlichkeitbefreien und
nur denBefehlenden verantwortlich machen, ist un-
zweifelhaft als gemeines Recht in Deutschland anzusehen. Erlaubt
es einem Beamten, obgleich er sich durch den Befehl seiner Ober-
behörde rechtlich decken kann, sein Gewissen trotzdem nicht, ver-
meintlich verfassungswidrigen Befehlen zu gehorchen, so verweigert
er denselben den Gehorsam auf die Gefahr hin, wegen Unbotmäs-