Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

392 I. Grundbegriffe des allgemeinen Staatsrechtes. 
des Staates energisch betont und damit einen wesentlichen Fortschritt, 
über Zachariä und Zöpfl hinaus begründet hat. Wir sind aber der An- 
sicht, dass mit dem einfachen Begriffe der Persönlichkeit der Staat 
auch in seiner juristischen Natur nicht vollständig begriffen werden 
kann. (Gerber sagte einst selbst: »das Staatsrecht kann nicht, wie 
das Privatrecht, durchweg auf den einfachen Begriff der Persönlich- 
keit konstruirt werden.«) Person ist vor allem der einzelne Mensch. 
Hier entzieht sich das Zustandekommen des eigentlich rechtlichen Mo- 
mentes, der Willensäusserung, als ein innerer psychischer Vorgang, jeder 
juristischen Betrachtung. Der einzelne Mensch ist ein Organismus im 
physischen und geistigen Sinne, aber nicht im Sinne der Jurisprudenz. 
Hier ist er lediglich ein Individuum. Anders der Staat. Bei diesem 
ist das Zustandekommen des Willens ein Vorgang, welcher ganz in den 
Bereich der Rechtsordnung fällt. Darum ist der innere Organis- 
mus der Staatspersönlichkeit auch ein juristisch bedeutsamer Begriff, 
welchem folgende Merkmale zukommen 
1) Während im Privatrechte die einzelnen Personen mit ihren abge- 
grenzten Willenssphären gleichberechtigt nebeneinanderstehen, 
ist das Öffentliche Recht durchweg eine höhere Ordnung über den ein- 
zelnen Personen, welcher dieselben ein- und untergeordnet sind. Wir 
sagten daher oben: » Alles Privatrecht ist individuelles Einzelrecht, alles 
öffentliche Recht ist organisches Gesammtrecht.« Dies gilt be- 
sonders von der Spitze des öffentlichen Rechtes, dem Staatsrechte. Ohne 
Hervorhebung des organischen Charakters ist eine wissenschaftliche 
Unterscheidung des öffentlichen und privaten Rechtes gar nicht zu ge- 
winnen. 
2) Die Person des Staates ist eine Gesammtpersönlichkeit, was 
eben mit dem Begriff des Organismus zusammenfällt. Die Glieder sind 
nicht blos Theile, wie die des menschlichen Körpers, sondern selbst 
wieder Rechtssubjekte, deren Rechtssphäre durch die Ordnung des Gan- 
zen festgestellt ist ; aber diese Rechtssphäre ist nicht, wie die privatrecht- 
liche, die des individuellen Fürsiehseins, sondern die durch die Mit- 
gliedschaft des Staates bestimmte. Der Begriff eines Staatsgliedes, 
Staatsgenossen, Staatsbürgers, ist ohne den Begriff des Organismus 
juristisch nicht konstruirbar. 
3) Vor allem ist die richtige juristische Auffassung der Staatsgewalt 
ohne Zugrundelegung des Begriffes » Organismus« nicht möglich. Die 
Staatsgewalt ist ein Abstraktum, welches verschiedenartiger Organe 
bedarf, um handlungsfähig zu werden. Das gerade von Gerber betonte 
Recht »der Organschaft« beweist, dass auch er des Begriffes des 
Organismus durchaus nicht entrathen kann. Die Organe sind nicht Ver- 
treter, nicht Repräsentanten oder Mandatare des Staates, sondern durch 
ihre verfassungsmässigen Handlungen handelt der Staat selbst. Dabei 
haben diese Organe ihre verschiedenartigen Aufgaben und Funktionen. 
Die Art und Weise, wie Monarch und Volksvertretung in ihrer ganz ver- 
schiedenen Rechtsstellung zur Hervorbringung des einheitlichen Staats- 
willens zusammenwirken, kann nur durch den Begriff des Staatsorganis- 
mus erfasst werden.
	        
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