Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3418 I. Das Landesstaatsrecht. 
liche Gehorsamspflicht, beim Staatsbürger zunächst an seine Rechte. 
Beide Bezeichnungen sind daher in der modernen Staatsordnung 
berechtigt und können unbedenklich nebeneinander gebraucht wer- 
den. Die Bezeichnung »Unterthan«, welche die Bürger des freiesten 
Rechtsstaates der Gegenwart mit Stolz für sich in Anspruch nehmen. 
brauchte deshalb auch uns Deutschen nicht anstössıg zu sein. 
8.138. 
Reichs- und Landesangehörigkeit!. 
Während die Verbindung mehrerer Indigenate in unabhängigen. 
sich völlig fremden Staaten als eine Irregularität erscheint, folgt 
gerade aus dem oben entwickelten Begriffe des Bundesstaates die 
Nothwendigkeit eines doppelten Indigenats. So hat jeder Deutsche 
ein Reichsbürgerrecht und ein Staatsbürgerrecht in dem Einzel- 
staate, welchem er angehört. Er hat damit Pflichten der Treue und 
des Gehorsams gegen die Reichsgewalt, ebenso wie gegen die Staats- 
gewalt des betreffenden Einzelstaates. Ebenso kann er aber auch 
in beiden Staatsorganismen bestimmte Rechte in Anspruch nehmen. 
Durch die zwischen Reich und Einzelstaaten gezogenen Kompe- 
tenzgrenzen wird im einzelnen Falle bestimmt, ob der Bürger 
der Staatsgewalt seines Einzelstaates oder der Reichsgewalt Gehor- 
sam zu leisten, ob er die aus seinem Bürgerrechte folgenden Rechts- 
ansprüche gegen das Reich oder den Einzelstaat geltend zu machen 
hat. Beide Verhältnisse sind daher vielfach mit einander verschlun- 
gen, besonders wo das Reich nur die allgemeinen Grundsätze auf- 
stellt, deren specielle Ausführung aber den Einzelstaaten überlässt. 
Aber sie widersprechen sich nicht, da beide Staatsorganismen sich 
in ihrem Wesen zu ergänzen haben und die oberste Entschei- 
dung bei einem etwaigen Konflikte immer der souveränen Reichs- 
gewalt zusteht. Dennoch wird das Staatsbürgerrecht ım 
Einzelstaate durch das Reichsbürgerrecht keines- 
wegsabsorbirt. Zwar stehen wichtige Rechte jedem Deutschen 
in ganz Deutschland zu, aber die aktiven politischen Rechte, welche 
! Vergl. Thudichum, Verfassungsrecht des norddeutschen Bundes 1S7v. 
S. 64—82. P.Laband, Staatsrecht des deutsches Reiches. B. I. 1816. S. 130 #. 
Th. Landgraff, Das Bundes- und Staatsbürgerrecht im nordd. Bunde. Leip- 
zig 1870. G. M. Klettke, Das norddeutsche Bundesindigenat in seinen recht- 
lichen Konsequenzen. Berlin 1871. Ueber die Verschiedenartigkeit der nord- 
amerikanischen und schweizerischen Auffassung vergl. besonders Rüttimann, 
Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Ein- 
richtungen der Schweiz. Zürich 1567. Th. I. 58 S6—104.
	        
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