Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Von den Staatsangehörigen. 351 
Diesem regelmässigen und natürlichen Erwerbe durch Abstam- 
mung steht der künstliche Erwerb des Indigenats gegenüber, 
welcher nur durch einen Akt der Staatsgewalt oder auf Grund 
eines Gesetzes erfolgen kann. 
Der specielle Akt der Staatsgewalt hat einen verschiedenen 
Charakter, wenn der Aufzuncehmende ein deutscher Reichsange- 
höriger oder wenn er ein Ausländer ist. Im erstern Falle wird 
er als Aufnahme, im zweiten Falle als Naturalisation be- 
zeichnet. 
Der einem andern deutschen Staate Angehörige ist nirgends in 
Deutschland ein Ausländer. Er hat nach der Reichsverfassung 
Art. 3ein Recht darauf, in jedem Einzelstaate das Staatsbürger- 
recht zu erlangen, wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt; 
$ 7 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 sagt: »Die Aufnahmeurkunde 
wird jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates ertheilt, wel- 
cher um dieselbe nachsucht und nachweist, dass er in dem Bundes- 
staate, in welchem er die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen 
habe, sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den $$ 2—5 des 
Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867 die Abweisung 
eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des 
Aufenthaltes rechtfertigt.« 
Nichtreichsangehörigen gegenüber ist dagegen ein 
wirklicher Naturalisationsakt nothwendig, wenn sie das 
Staatsbürgerrecht in einem deutschen Staate gewinnen wollen; 
dieser ist vom freien Ermessen der betreffenden Regierung ab- 
hängig, kein Ausländer hat ein Recht darauf, in einem deutschen 
Staate naturalisirt zu werden. Das Gesetz vom 1. Juni 1870, 88 
beschränkt die Regierungen einzelner Bundesstaaten nur innega- 
tiver Beziehung, indem es sagt, dass Ausländern die Naturalisation 
nicht ertheilt werden darf, wenn sie nicht gewisse Bedingungen 
erfüllen. 
Die Aufnahme eines Reichsangehörigen, sowie die Naturali- 
sation eines Ausländers erfolgt durch eine von der höheren Verwal- 
tungsbehörde ausgefertigte Urkunde. Die Naturalisations- bez. Auf- 
nahmeurkunde begründet mit dem Zeitpunkte der Aushändigung 
alle mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten. 
$ 10. Die Verleihung des Indigenats erstreckt sich, insofern dabei 
nicht eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und 
die noch unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kin- 
g 11.
	        
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