Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

354 I. Das Landesstaatsrecht. 
II. Von den Pflichten der Staatsangehörigen. 
8 140. 
Im Allgemeinen. 
Es ist ein weit verbreiteter Fehler unserer modernen gesellschaft- 
lichen Anschauung, immer nur an die Rechte des Individuums 
dem Staate gegenüber zu denken und darüber fast zu vergessen, 
dass das Verhältniss des Bürgers zum Staate in erster Linie ein 
Pflichtverhältniss ist, welches auch ım System durchaus an 
die Spitze gehört. 
Während die im Staatsgebiete lebenden Fremden nur die 
negative Pflicht haben, nicht störend in unser Staatsleben einzu- 
greifen, haben die Angehörigen dagegen ihre organische Stellung 
als Staatsgenossen auch positiv nach allen Richtungen hin aus- 
zufüllen. Während im Einheitsstaate diese Pflicht nur gegen Einen 
Staat und Eine Staatsgewalt besteht, zeigt sich im Bundesstaate 
auch hier der Dualismus des ganzen staatsrechtlichen Verhält- 
nisses. Die staatsbürgerlichen Pflichten werden ebenso dem Reiche, 
wie dem Einzelstaate geschuldet, und zwar in der Art, dass die 
Kompetenzgrenze zwischen beiden Gewalten auch für jeden Ein- 
zelnen die Pflichten der Reichs- und der Staatsangehörigkeit gegen 
einander abgrenzt. | 
$ 141. 
Die Treuverpflichtung. 
Die Treue ist zunächst ein ethischer Begriff. Aber von jeher 
hat die germanische Auffassung sich dahin geneigt, dieselbe zu 
einem Rechtsbegriffe des Personenrechtes zu erheben, eine Rechts- 
verpflichtung zur Treue anzuerkennen, die sich freilich in konkreten 
Handlungen und Unterlassungen zu äussern hat, aber keineswegs 
darin aufgeht. Dieselbe ist, aus der privatrechtlichen Sphäre des 
mittelalterlichen Lehenrechtes, in geläuterter Gestalt auf den Staats- 
verband und sein persönliches Oberhaupt übertragen. Diesem Ge- 
danken tragen die deutschen Verfassungen Rechnung, wenn sie, 
neben dem Gehorsam gegen das Gesetz, auch »die Treue gegen 
den König«, als den persönlichen Träger der Staatsgewalt, zur 
Pflicht machen. In dieser Anforderung spricht sich der allerdings 
weit über das blos juristische Element hinausgehende Gedanke aus, 
dass auch im konstitutionellen Staate das persönliche Treuverhältniss
	        
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