Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Von den Staatsangehörigen. 363 
3ei dem völlig unorganischen , mehr privatrechtlichen Steuer- 
wesen der vergangenen Jahrhunderte war die Vertheilung der 
öffentlichen Abgaben eine völlig ungleiche. Exemtionen durch- 
brachen überall die Regel der Steuerpflicht und liessen den Gedan- 
ken einer gleichmässigen Vertheilung der Staatslasten gar nicht 
aufkommen. Besonders hatte die Ritterschaft ihre einflussreiche 
Stellung auf den Landtagen zu benutzen gewusst, um die Steuer- 
freiheit ihrer Ritterhufen durchzusetzen. In ähnlicher Weise hatte 
die Geistlichkeit das Privilegium der Steuerfreiheit erworben. Die 
Städte zahlten gewöhnlich fixirte Abgaben. Die schwerste 
Steuerlast lag auf dem gedrückten Bauernstande (misera plebs 
contribuens). Erst in unserem Jahrhundert hat die Idee eines 
gleichberechtigten und gleichverpflichteten Staatsbürgerthums auch 
auf diesem Gebiete ihre Anforderungen geltend gemacht und all- 
mälig durchgesetzt. Es wurde gesetzlich ausgesprochen, »dass die 
Staatsbürger zu den Staatslasten auf verhältnissmässig gleiche 
Weise beizutragen schuldig seien«; die Beseitigung aller Steuer- 
privilegien wurde verfassungsmässig ausgesprochen. In allen 
Staaten wurde besonders die Steuerfreiheit der Rittergüter theils mit, 
theils ohne Entschädigung aufgehoben; jede andere Bevorzugung 
in Betreff der Besteuerung für verfassungswidrig erklärt; doch kann 
kein einseitig durchgeführter Besteuerungsmodus für alle Zeiten 
und Verhältnisse als der allein gerechte hingestellt werden. Der 
staatsrechtliche Grundsatz der gleichen Vertheilung der 
Staatslasten auf die Bürger lässt sich nicht als abstraktes 
Princip durchführen, sondern kann nur, als leitende Maxime, auf 
die wirthschaftlichen Zweckmässigkeitserwägungen der Finanz- 
männer bei den so verwickelten Fragen der Besteuerung einwirken. 
Die "Steuerpflicht deutscher Unterthanen besteht sowohl dem 
Reiche als den Einzelstaaten gegenüber. Für das Reich kommen 
bis jetzt nur indirekte und Verkehrssteuern in Betracht. Den Einzel- 
staaten sind ausserdem Grund-, Gewerbe-, Kapitalrenten- und 
Einkommensteuer zu entrichten. Zur Zahlung von Grundsteuer 
ist jeder verpflichtet, welcher Grundeigenthum innerhalb des Staates 
besitzt, zur Zahlung von Gewerbesteuer jeder, der daselbst Gewerbe 
treibt. Dagegen werden, nach den Gesetzen vieler Staaten, zur Ein- 
kommen-und Kapitalrentensteuer die Staatsangehörigen, auch wenn 
sie ausserhalb des Staates wohnen, sowie die im Staate domicilirten 
Nichtstaatsangehörigen herangezogen. Dadurch kann eine!Doppel- 
besteuerung solcher Personen herbeigeführt werden, welche
	        
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