Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Von den Staatsangehörigen. 377 
Rechte des freien Aufenthaltes und der Niederlassung auch das 
natürliche, bis dahin vielfach verkümmerte Recht, eine Familie, 
einen eigenen Hausstand zu gründen, hinzugefügt worden ist. Der 
$ 1 dieses Gesetzes stellt das Princip folgendermassen fest: »Bun- 
des- (Reichs-'angehörige bedürfen zur Eingehung einer Ehe oder 
zu der damit verbundenen Gründung eines eigenen Hausstandes 
weder des Besitzes, noch des Erwerbes einer Gemeindeangehöng- 
keit (Gemeindemitgliedschaft) oder des Einwohnerrechtes, noch der 
Genehmigung der Gemeinde (Gutshersschaft) oder des Armenver- 
bandes, noch einer obrigkeitlichen Erlaubniss. Insbesondere darf 
die Befugniss zur Verehelichung nicht beschränkt werden wegen 
Mangels eines bestimmten, die Grossjährigkeit übersteigenden 
Alters oder des Nachweises einer Wohnung. eines hinreichenden 
Vermögens oder Erwerbes, wegen erlittener Bestrafung, bösen 
Rufes. vorhandener oder zu befürchtender Verarmung, bezogener 
Unterstützung oder aus anderen polizeilichen Gründen.« In 
3ayern ist das Gesetz vom 4. Mai 1868 bis jetzt noch nicht einge- 
führt worden. 
4) Gewerbefreiheit. Durch die Gewerbeordnung 
für den norddeutschen Bund vom 21. Junı 1869, welche 
jetzt auf den Umfang des ganzen deutschen Reiches ausgedehnt 
worden ist, ist der Grundsatz ausgesprochen: »Der Betrieb eines 
Gewerbes ist jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz 
Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen 
sind.« Alle ausschliesslichen Gewerbeberechtigungen und alle 
Zwangs- und Bannrechte sind aufgehoben. Der gleichzeitige Be- 
trieb verschiedener Gewerbe ist gestattet. Die Beschränkung der 
Handwerker auf den Verkauf selbstgefertigter \Waaren ist unzu- 
lässig. Wer ein selbständiges Gewerbe betreiben will. hat in der 
Regel nur die Pflicht, hiervon der Behörde Anzeige zu machen. 
Nur hinsichtlich einiger weniger Gewerbszweige, aus deren schran- 
kenlosem Betriebe Gefahren für das Gemeinwohl erwachsen kön- 
nen, ist der Beginn von einer polizeilichen Genehmigung abhängig 
gemacht. Der Unterschied zwischen Stadt und Land in Bezug auf 
den Gewerbebetrieb ist beseitigt. Der letztere darf in keiner Weise 
und bei keinem Gewerbe von dem Besitze des Bürgerrechtes ab- 
hängig gemacht werden. 
Mag reifere Erfahrung an diesem Gesetze in einzelnen Punk- 
ten mancherlei zu verbessern haben, bedarf besonders neben der 
individuellen Freiheit des Einzelnen die Organisation des Gewerbe-
	        
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