Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

4. Von den Körpern der Selbstverwaltung, besonders von den Gemeinden. 431 
Gemeindeausschuss besteht, wird für wichtigere Angelegenheiten 
häufig noch ein Beschluss der ganzen Gemeindeversammlung ge- 
fordert. Nach den neueren Gemeindeordnungen haben auch die 
Landgemeinden das Recht, die Gemeindeämter durch Wahl zu 
besetzen, meistens jedoch unter Bestätigung der Behörde. Die Er- 
nennung des Schulzen und der Schöffen durch die Staatsbehörde 
oder den Gutsherrn ist jetzt überall, auch ın den östlichen Provin- 
zen Preussens beseitigt. (Kreisordnung vom 13. December 1872 
$ 36.) Ebenso ist die Verknüpfung des Schulzenamtes mit gewis- 
sen Gütern aufgehoben. 
So lässt sıch allerdings ın dem letzten Menschenalter ein be- 
deutsamer Fortschritt in der Befreiung der Landgemeinden erken- 
nen. Aber der Verfassung der Landgemeinden droht eine an- 
dere Gefahr in der Anwendung schablonenhafter Theorien, welche 
die realen Grundlagen der geschichtlich gegebenen deutschen Dorf- 
verfassung ganz verkennen. Ueberhaupt lässt sich die Dorfge- 
meinde mit ihren einfachen, meist auf Landwirthschaft gegründeten 
Besitzverhältnissen nie zu einem so abgeschlossenen Körper der 
Selbstverwaltung gestalten, wie die Stadt mit ıhren mannigfachen 
wirthschaftlichen Elementen und ihrem geistig bewegteren Leben. 
Es war ein Irrthum des Jahres 1848, dass man jedem Dorfe eine 
künstlich schablonenhafte Verfassung mit einem Dorfparlamente 
geben, dass man im Grunde eın hinterpommersches Kathendorf 
nach denselben Grundsätzen konstruiren wollte wie die Stadt Ber- 
lin. Eine vernünftige Landgemeindeordnung darf nur die allge- 
meinsten Grundzüge enthalten und muss dem Ortsstatut eine weit- 
gehende Freiheit der Bewegung gestatten. Vor allem darf aber der 
Gesetzgeber nie aus den Augen lassen, dass unser deutsches Dorf 
nur selten zur Entwicklung eines in sich abgeschlossenen, sich 
selbst genügenden Gemeindelebens die ausreichenden Elemente bie- 
tet, sondern dass die ländliche Gemeinde in höherem Maasse, wie 
die städtische, ihre Ergänzung in höheren Körpern der Selbstver- 
waltung finden muss,
	        
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