Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

5. Von der Volksvertretung oder dem Landtage. 153 
sten hKechtssatz verkündeten und die Landesverträge und Landes- 
freiheiten als Privilegien charakterisirten, welche der Landesherr 
jeder Zeit widerrufen könne, wenn sie mit der sog. Landeswohl- 
fahrt unvereinbar seien. 
5) Bei weitem das Schlimmste aber war, dass die Landstände 
sich selbst aufgaben, indem sie die höhere öffentlich-rechtliche Be- 
deutung, welche sie einst gehabt, völlig vergassen und sich nicht 
mehr als »die Landesgemeinde«, sondern als eine Körperschaft der 
Privilegirten betrachteten, denen ıhre privatrechtlichen Vorrechte, 
pekuniären Vortheile und Exemtionen über alles gingen; sie verzich- 
teten auf die Theilnahme an der Gesetzgebung und selbst auf das 
Steuerbewilligungsrecht, wenn sie nur die eigene Steuerfrei- 
heit behaupten und immer mehr erweitern konnten. Immer eng- 
herziger schlossen sie sich als die »Privilegirten« gegen die übrigen 
Einwohner des Landes ab. Die Standschaft wurde als Pertinenz 
von Grund und Boden, als Immobiliarrecht, aufgefasst, die 
ritterschaftliche Korporation aber durch Ahnenprobe oder wenig- 
stens Adelsnachweis immer strenger geschlossen. Ueberall stellte 
sıch daher die öffentliche Meinung auf Seiten der Fürsten, welche, 
den kastenartigen Privilegien der Stände gegenüber, das allgemeine 
Staatsbürgerthum zur Geltung zu bringen suchten. Unbetrauert 
und kaum bemerkt, vollzog sich schliesslich der Untergang der einst 
so kraftvollen, jetzt so tief entarteten Institution. Hie und da hörte 
sie schon zu Reichszeiten ganz auf zu existiren, anderwärts, wie 
in den Gebieten der preussischen und Österreichischen Monarchie, 
vegetirte sie, ohne jede politische Bedeutung, als privilegirte Kor- 
poration fort. Etwas mehr Einfluss behauptete sie in Sachsen und 
Bayeın. Nur in zwei Ländern wurden im vorigen Jahrhundert ihre 
alten Befugnisse von neuem anerkannt und bestätigt, in Meck- 
lenburg durch den Erbvergleich von 1755 und in Württem- 
berg durch den Erbvergleich von 1770; in beiden Ländern blieb 
die alte landständische Verfassung in voller Kraft, aber freilich in 
sehr abweichender Gestalt. In Mecklenburg kam das feudale Ele- 
ment in dem Uebergewicht der Ritterschaft zur Geltung, in Würt- 
temberg, dem einzigen grössern Lande, welchem eine Ritterschaft 
ganz fehlte, war neben der evangelischen Prälatur das korporative 
Element der Aemter alleın vertreten, in welchem Städte und Land- 
gemeinden zu einer Einheit verbunden waren (S. 434). Da hier 
neben dem Bürgerthum auch der Bauernstand vertreten war, so kam 
die landständische Verfassung Altwürttembergs der modemen Re- 
H.Schulze, Deutsches Staatsrecht. 30
	        
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