456 Il. Das Landesstaatsrecht.
I) Am schwierigsten ist die erste Beziehung juristisch zu kon-
struiren, weil das Wort »Vertretungc« hier in einem ganz andern,
als dem gewöhnlichen privatrechtlichen Sinne gebraucht wird. Ver-
tretung oder Repräsentation bedeutet im Civilrechte eine erweiterte
Handlungsfähigkeit von Personen; sie dient theils als Ersatz für
die mangelnde eigene Handlungsfähigkeit, z. B. bei Unmündigen,
Wahnsinnigen, juristischen Personen, theils erweitert sie für Hand-
lungsfähige den rechtlichen Verkehr durch Vervielfältigung der
juristischen Organe 'v. Savigny, System B. III, S. 91). Immer-
hin setzt sie aber eine physische oder juristische Person voraus,
welche vertreten wird. Aber das Volk, als der Inbegriff der Be-
herrschten, bildet. abgesehen vom Staate, keine Person, noch hat
es juristisch irgendwie einen Willen. Es ist daher eine völlig un-
haltbare Auffassung, wenn man die sog. Volksvertretung als eine
Vertretung der Millionen Individuen, welche im Staate leben, kon-
struiren will. Man geht dabei von der Ansicht aus, dass die Ge-
sammtsumme der Wähler einen einheitlichen Willen habe; nur aus
dem äussern Grunde, weil eine solche Masse nicht füglich in pleno
zusammenkommen könne, habe sie ihre Rechte auf erwählte Man-
datare übertragen, welche den eigentlichen ursprünglichen Volks-
willen auszuführen berufen wären. Die aus diesen angeblichen
Mandataren gebildete Versammlung wird dabei als die Vollstreckerin
eines im Ilintergrund stehenden höheren Willens, des sog.
Volkswillens, angesehen. Diese noch in weiten Kreisen ver-
breitete vulgäre Auffassung ist das gerade Gegentheil des wahren
staatsrechtlichen Verhältnisses.
Im rechtlichen Sinne haben nur Personen einen Willen. Im
Volke ist daher jeder zurechnungsfähige Mensch willensfähig; er
hat aber nur seinen individuellen Willen. Das Volk, als der Inbe-
griff der nebeneinander lebenden Millionen, ist aber in keiner Weise
neben dem Staate, noch als ein besonderes Rechtssubjekt zu kon-
struiren und hat deshalb auch keinen Willen. Der Begriff der
Volksvertretung darf daher niemals auf die Darstellung eines frem-
den, eigentlich gar nicht existenten Willens gegründet, sondern
kann nur auf Grund einer höheren organischen Auffassung des
Volkslebens richtig gewürdigt werden.
Das Volk ist allerdings neben dem Staate kein Rechtssubjekt,
aber es ist auch nicht eine blos atomistische Masse von Millionen
Individuen, es ist vielmehr eine lebendige Gesammtexistenz
mit einer geschichtlich gewordenen Volksthümlich-